Ein streitbarer Politiker wird 70 Jahre alt

Karl-Heinz „Kalle“ Kandolf wurde am Donnertag, 3.1.2019, 70 Jahre jung. Der gebürtige Moerser, der viele Jahre in Rheinhausen politisch aktiv war, ist 1977 eher zufällig nach Twisteden gekommen. „Wir waren damals auf der Suche nach einem großen Haus, das Platz für zehn Personen bot, und stießen zufällig auf den Bauernkoten am Vlitzweg in Twisteden“, berichtet er. Kalle Kandolf und seine „Mitstreiter“ gründeten damit vermutlich eine der ersten Kommunen im Stadtgebiet, die für Kevelaer sicher exotisch und fremd war. Die Neuankömmlinge wurden im Dorf Twisteden natürlich beäugt und mit viel Skepsis betrachtet, doch im Laufe der Zeit akzeptiert.
Kandolf war zu diesem Zeitpunkt noch SPD-Mitglied und gehörte der Friedensbewegung an, die auch hier bei uns ein reichhaltiges Betätigungsfeld fand. Denn mit dem Nato-Doppelbeschluss 1979 und der angekündigten Stationierung der atomaren Pershing-II-Raketen in Westeuropa war anzunehmen, dass diese im Zusammenhang mit dem RAF-Flughafen Weeze (Nato-Stützpunkt) und dem großen Munitionsdepotgelände in Twisteden in den Bunkern eingelagert werden sollten.
„Wir haben uns in der Nähe des Depots auf Hochsitzen aufgehalten, um mit Ferngläsern zu beobachten, ob wir deren Ankunft ausmachen konnten. Bis heute gibt es keine offiziellen Aussagen darüber, ob die Atomsprengköpfe jemals in Twisteden lagerten. Wir waren und sind uns aber sicher, dass dies der Fall war“, führt er aus.
So war es eigentlich logisch, dass sich mit den Aktivisten der Friedensbewegung in Kevelaer Anfang der 80er-Jahre auch der erste Ortsverband der Grünen gründete. Kalle Kandolf führte die Grüne Fraktion ab 1984 und war dienstältester Fraktionschef im Kevelaerer Stadtrat bis zu seinem Rücktritt im Dezember 2009. Auf die Frage, was sein persönlicher Bewegrund war, sich politisch in Kevelaer zu engagieren, sagt er: „Es war zum einen die grüne Bewegung und deren politischen Inhalte, aber auch die Chance, damit die verkrusteten Parteistrukturen in Kevelaer ein wenig aufzumischen.“ Die junge Grüne Partei war mit dem ersten Antritt zur Kommunalwahl 1984 mit 7,6 Prozent sehr erfolgreich.
„Ich habe immer gerne mit den Menschen in unserer Fraktion zusammengearbeitet, woraus sich auch richtige Freundschaften entwickelt haben. Aber auch die Zusammenarbeit mit Heinz Paal als Stadtdirektor und später als Bürgermeister war immer sehr gut.“ Mit den anderen Fraktionen konnte und kann Kandolf sich bestens austauschen. Dies hänge allerdings immer mit den jeweiligen handelnden Personen zusammen, sagt er. Der Zusammenhalt im Rat der Stadt sei damals anders gewesen als heute. Auf die Frage, was er rückblickend in seinem politischen Handeln bereut oder in seinem Leben anders machen würde, erwidert er mit voller Inbrunst: „Gar nichts!“
Kalle Kandolf hat einen schweren Einschnitt erfahren, als sein aktives und politisch umtriebiges Leben durch einen Schlaganfall von heute auf morgen jäh unterbrochen wurde. Die Krankheit brachte viele körperliche Einschränkungen mit sich, die ein Agieren, wie er es gewohnt war, nicht mehr zuließ. „Mein größtes Glück war und ist meine Frau Martina. Sie hat immer hinter mir gestanden und vor allem nach diesem gravierenden Einschnitt zu mir. Sie hat mir geholfen, wieder auf die Beine zu kommen, und mich angetrieben, die Reha-Maßnahmen anzugehen. Ich bin sehr stolz auf sie“, sagt er mit einem liebevollen Lächeln. „Aber auch meine Familie, Freunde und Bekannte haben mir sehr geholfen, wieder ins Leben zurück zu finden. Dafür bin ich allen sehr dankbar.“ Körperlich hat er fast alle Handicaps überwunden, die der Schlaganfall mit sich brachte. Durch die regelmäßigen Trainings wird seine Aussprache immer besser und die Wortfindungsschwierigkeiten nehmen weiter ab.
Nach über 40 Jahren in Kevelaer fühlt er sich als echter Kevelaerer und wünscht sich für die Zukunft Kevelaers eine richtig gute Umsetzung des Integrierten Handlungskonzeptes (Anm. d. Red.: Umgestaltung der Innenstadt). Dies lässt sich aus seiner Sicht allerdings nicht ohne eine entsprechende Langfristplanung (wie soll unsere Stadt in 20 bis 30 Jahren aussehen) und eine entsprechende Position in der Verwaltung mit fachlicher Qualifizierung realisieren, die die Impulse setzt und alle Fäden zusammenhält. Aus seiner Sicht gebe es dies leider zurzeit nicht, und er könne nicht verstehen, warum dies seit Jahren verhindert werde. Als Politiker wünscht er sich, dass sich die Menschen angesprochen fühlen, um über aktuelle Themen mitzudiskutieren oder auch aktiv in der Politik mitzumachen. Leider nimmt dies immer mehr ab. Er vermisst die Diskussionsfreudigkeit und die Bereitschaft, sich mit anderen Argumenten auseinanderzusetzen. „Die sozialen Medien verleiten heute leider dazu, nur noch auf Überschriftenebene zu reagieren ohne die wirklichen Hintergründe auszudiskutieren. Man kann kein Thema mit ein paar Worten beschreiben und sich dann eine qualifizierte Meinung bilden.“ Leider sei das auch bei einigen Themen in der Fraktions- und Ratsarbeit in Kevelaer so.
„Wir als ehrenamtliche Politiker haben Dinge zu bewerten, zu denen man oft gar keine detaillierten oder rechtzeitigen Hintergrundinformationen erhält, um sich damit auseinanderzusetzen. Wie soll man sich mit einer 300-seitigen Ratsvorlage im Detail beschäftigen, wenn man diese erst wenige Tage zuvor von der Verwaltung erhält?“, stellt er sich etwas frustriert selbst die Frage.
„Ich habe mich immer gerne mit den Menschen über Themen gestritten, ich war aber nie nachtragend.“ So manchen Streit habe er mit seinen Wegefährten ausgefochten, aber nie sei es persönlich geworden. Der gegenseitige Respekt war immer da.
Aktuell ist er stolz darauf, dass die Grünen in Kevelaer wieder junge Leute hinzugewonnen haben, die aktiv und engagiert mitmachen wollen.
Auf die Frage, mit wem er einmal einen Abend verbringen möchte, sagt er wie aus der Pistole geschossen: „Mit Pichler. Ich schätze seine Arbeit, mit ihm kann man sich sehr gut austauschen.“
Auf sein Alter angesprochen und wie er sich fühle, erwidert er: „Wenn ich mich morgens im Spiegel betrachte, dann denke ich, eigentlich noch ganz gut in Schuss. Auch wenn die Zeit ihre Spuren hinterlassen hat“, und lacht dabei herzhaft. Er habe in seinem bisherigen Leben auch nichts verpasst, fügt er hinzu. Gerne trifft er sich mit Freunden oder spielt Tennis. Der große Garten macht ihm Spaß, wenngleich er sich vorstellen kann, wenn seine Frau in ein paar Jahren in den Ruhestand geht, in einem kleineren Umfeld zu leben – in jedem Fall aber in Kevelaer. In diesem Jahr freut er sich sehr darauf, mit seiner Frau Urlaub zu machen. „Wir wollen zunächst an die Ostsee und im Herbst noch nach Bayern“, sagt er zum Abschluss.