Ein Meisterstück

Mehrere Male mussten Detlef Heinichen und Marcel Wagner nach ihrer Darbietung vor das Publikum treten, um sich den langanhaltenden Beifall und Standing Ovations abzuholen.
Die Zuschauer in dem Dachgeschoss der Öffentlichen Begegnungsstätte hatten sich von dem Puppenspiel der beiden Dresdner so dermaßen einfangen lassen, dass sie ihrer Begeisterung mehr als deutlich Ausdruck verleihen mussten. Der Grund für die berechtigte Euphorie war die ganz besondere Interpretation des Jonas-Jonasson-Klassikers „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“, der sicher bald „zur Weltliteratur zählen wird“, zeigte sich Heinichen in der Pause fest überzeugt.
Schwarzer Humor
„Wenn man Figurentheater macht, suchen wir uns Stoffe, die man mit Puppen nicht vermutet“, war es für das Duo „eine Herausforderung“ gewesen, dem sehr umfangreichen Buch erstmal Herr zu werden und es dann noch angemessen umzusetzen.
„In der Inszenierung gab es Momente, wo wir nicht weiterwussten“, gestand Heinichen. Das Spannende an der ganzen Story sei aber „der schwarze Humor, der doch nicht abwegig“ sei, ergänzte Wagner. „Und sie ist mit so großer Lust erfunden.“
Die große Lust am Spiel und an der Fantasie, das Buch in seiner ganzen Skurillität, mit seinem Reichtum an Ideen und witzigen Einfällen authentisch rüberzubringen, das wurde in den zwei Stunden der Aufführung mehr als spürbar. Und so wie man beim Herrn der Ringe nicht glaubte, dass man es verfilmen kann, schafften es die beiden Figurenspieler, die Story um den 100-jährigen Allan Karlsson voll zu treffen, der in einer schwedischen Kleinstadt aus dem Fenster steigt und am Bahnhof einen Ganoven trifft, der ihm – nicht ganz freiwillig – einen Geldkoffer überlässt.
Daraus entwickelt sich ein Roadmovie mit drei Gangsterleichen, einem mordenden Elefanten, einer aberwitzigen Flucht im Bus und skurillen Situationen – flankiert von der geradezu aberwitzig-abenteuerlichen Lebensgeschichte Karlsonns. Der dient mit seiner Neigung zum Sprengen erst unter Franco, ist mit Truman auf Du und Du, findet bei Oppenheimer das Prinzip der Kernspaltung, wird bei Kim Il-Sung in Nordkorea fast umgebracht, und verlebt mit einem russischen Spion mehrere Jahre.
Genial war die geradezu wunderbare Idee, die Geschichte aus Sicht des Kommissars Aronsson und des Staatsanwalts Ranelid erzählen zu lassen, die sich Tag für Tag zum Angeln treffen.
Dabei erinnern sie sich anhand der Akten an die unfassbare Geschichte des 100-jährigen Allan Karlsson – und beenden jeden „Angeltag“ mit einem Lied, ob es nun das selbstironische „Polizisten“ aus den 80ern von Extrabreit oder Maos Lieblingslied „Die Folelle“ von „Flanz Schubelt“ war.
Die überbordende Phantasie des Werks überhöhen sie fast noch mit ihren dramaturgischen Einfällen – so zum Beispiel, als die beiden Angler bei den Rückblenden immer wieder einen „dicken Fisch“ an der Angel haben – und die großen historischen Figuren wie Truman oder Mao tatsächlich mit ihrem Konterfei auftauchen.
Dazu kamen wunderbar ausgearbeitete Puppenfiguren, witzige Dialoge und verzweifelte Gangster und Polizisten. Ein grandioses Puppenspiel, das man mit soviel Spritzigkeit, Witz und schwarzem Humor in der Form sicher seit Jahren nicht mehr in Kevelaer gesehen hat.