Ein Magier an den Tasten

Mit Superlativen sparsam umzugehen, ist im Zeitalter von Überhöhungen und Übertreibungen ein durchaus sinnhaftes Unterfangen. Was sich aber zum Abschluss des neunten Euregio-Rhein-Waal-Studentenfestivals in der Kevelaerer Clemenskirche abspielte, darf man getrost als sensationell bezeichnen.

Der Organisator der Veranstaltung vor Ort, Christian Franken, durfte sich zunächst über den relativ hohen Zuspruch seitens des Publikums freuen. „Von den Besucherzahlen her war es sehr gut. Die Leute kommen gerne, erleben die Musik ganz tief.“ Und auch die jungen Künstler aus aller Welt „genießen die tolle Atmosphäre, Akustik und den tollen Flügel. Das lädt geradezu zu schönen Klangexperimenten ein. Und die Qualität der acht Konzerte war sehr, sehr gut.“

Bei Wettbewerben bereits erfolgreich

An diesem Abend betrat der erst 19 Jahre alte amerikanische Pianist Shane van Neerden, der zur Zeit ein Stipendiat in Amsterdam absolviert, bis heute mehrere Meisterklassen hinter sich gebracht und mehrere Wettbewerbe für sich entschieden hat, die „Bühne“. Für Kevelaer hatte sich der junge Mann mit großelterlichen Wurzeln in den Niederlanden ein Repertoire aus Bach, Haynd, Debüssy, Ravel und Rachmaninov ausgewählt.

Was von vornherein auffiel, war die Eleganz und die Feingliedrigkeit, mit der der Pianist über die Tastatur des Instruments glitt. Dazu verlieh er seinem Spiel mit jeder Note eine Bedeutung und Tiefe in den Kompositionen, wie man sie sicher nicht häufig so zu hören bekommt. Wunderschön trällernd, angenehm organisch und im Fluss gelang ihm das „Präludium“ und die „Fuge Fis-Dur“ von Johann Sebastian Bach, bei dem er die Musik schon körperlich „mitlebte“.

Aufwallend, dann mal wieder dialogisch, perlend-schön und wunderbar akzentuierend geriet dann Joseph Haydns „Sonate E-Dur“ – klar im Klang und fast die Töne ausdeutend, fast wie ein Maler mit filigranem Strich. Danach folgte Claude Débuyssis „Bruyéres“ und „La Terrasse des Audiences de Claore de Lunc“ aus den „Préludes“, Livre II – träumerisch, entführend in eine ästhetische Klangwelt voller Farben, reduziert und doch mit soviel „Macht“ im Ausdruck. Wellen und Feuer voller Intensität dominierten auch Ravels „Ondine“ aus dem „Gasparde de la nuit.“

Wahnsinniges Tempo des Klavierspiels

Und wer bis dahin noch nicht fasziniert war, durfte anschließend drei Rachmaninov-Préluden und die Sonate Nr 2 b-Moll hören. Die Komplexität, die überkreuzenden Hände, das wahnsinnige Tempo des Klavierspiels und das Brennen auf den Tasten elektrisierten die Zuhörer und gaben eine Andeutung davon, was an diesem Instrument außer Technik noch möglich ist.

„Du nimmst soviel Energie von ganz unten. Es ist keine Sache der Technik. Menschen wollen etwas fühlen“, erläuterte der 19-Jährige danach, was für ihn persönlich zählt: Gefühle und Emotionen, die man spüren kann. Und wer an diesem Abend „den fast unspielbaren Rachmaninov, der als mit das Schwerste gilt, was es auf dem Klavier gibt“ (Franken) zuhören durfte, der bekam davon einen Begriff.