Ein letzter Heilig Abend, ein letztes neues Jahr

Gemeinsam mit ihren Kollegen schmückte Mechthild Foitzik den Tannenbaum und sorgte für das vernünftige Erscheinungsbild der Krippe im Aufenthaltsraum des Wettener Hospizes. Die 58-Jährige, die liebevoll „Metta“ genannt wird, arbeitet seit zehn Jahren in dem Hospiz. Man versuche, das ganze Jahr über „Weihnachten“ zu den Menschen zu bringen, ihnen die Wünsche von den Augen abzulesen. „Wir denken hier in Tagen und Stunden. Da ist es wichtig, wie man die Zeit füllt – mit Fröhlichkeit – und wie man mit den Menschen umgeht.“
Man habe einen „normalen“ Tannenbaum an der Krippe und einen mit „besonderem Schmuck“ im Eingangsbereich: „Hier können Besucher und Angehörige auf einem Stern die Namen von Verstorbenen aufschreiben und aufhängen.“ Jedes Jahr hängen einige Namen dort.
Pro Jahr kommen in die Wettener Einrichtung zwischen 100 und 120 „Gäste“, wie die Menschen im Haus bezeichnet werden, die ihren letzten Weg dort beschreiten, erzählte Einrichtungsleiterin Birgitt Brünken. „Sie leben hier intensiv, jeden Tag. Die haben, wenn sie hierherkommen, schon alles an Hoffnung und Trauer, an auf und ab erlebt. Der Weg hier ist vorgegeben und dann freuen sie sich einfach über Kleinigkeiten.“ Und gerade in der Advents- und Weihnachtszeit kommt es zu besonderen Momenten im Haus.
„Am 6. Dezember kommt der ,Nikolaus‘ Heinz Kerkmann im Bischofskostüm ins Haus“, erzählt Brünken. „Er geht durch jedes Zimmer. Da sitzt dann die Ehefrau am Bett ihres Mannes. Er sagt: ,Drauß vom Walde komm ich her‘ und sie sagt: ,Schön, dass ich das erleben darf.‘“
Einmal habe es einen weiblichen „Gast“ gegeben, der direkt fragte: „Können wir Weihnachten feiern?“, erinnert sich Brünken. „Ich musste ihr dann sagen, dass es für sie nicht bis zum 24. Dezember zu schaffen sei. Sie weinte.“ Daraufhin kaufte das Hospiz spontan einen Tannenbaum und feierte am 27. November Weihnachten. „Sie hatte für uns alle Geschenke gemacht, den Weihnachtsschmuck durften wir behalten.“ Eine Woche später sei die Frau verstorben.
Das Grönemeyer-Lied „Sekundenglück“ versinnbildliche musikalisch, was Weihnachten und auch Silvester bedeuten, meint Brünken und berichtet von einer weiteren Episode. „Da schellte es an der Tür, es kam ein Mann mit seiner sechsjährigen Tochter. „Ich habe gearbeitet, habe Autos gewaschen. Das Geld wollte ich Ihnen geben“, übergab diese 7,50 Euro. Davon kaufte Brünken zehn Kerzen, für jeden der Gäste eine. Und einmal standen unvermittelt zwei weiße Holzengel als anonyme Spende vor der Tür.
Auch die Nacht vor Heiligabend kann berührend sein. „Da war ein Nachtwachen-Ruf, der Bewohner war unruhig. Ich setzte mich zu ihm und schaute im Fernsehen mit ihm ,Ist das Leben nicht schön?‘ mit James Steward. Und er wurde immer ruhiger. Ich hatte noch nie ein so schönes Heiligabend.“
Zu Weihnachten hole man alle Gäste und ihre Angehörigen in den Tagesraum, man stoße gemeinsam an und singe Weihnachtslieder. Vor drei Jahren habe eine Familie ihrem Angehörigen mit dem Besuch von Willi Girmes eine besondere Freude gemacht. „Er kam mit Nikolausmütze, baute seine Anlage auf und sang. Selten sind hier so viele Tränen geflossen.“
Silvester ist es dann eher ruhig. Die Nachtwachen gehen durch, um zu fragen, wer gerne auf das neue Jahr anstoßen möchte. „Der Neujahrstag ist dann sehr entspannt. Da kommen viele Verwandte.“ Für die Damen gibt es einen Eierlikör, es wird Lachs gereicht. Und alle Beteiligten genießen zusammen vor allem eines: die Zeit, die sie miteinander haben.
Was man durch die Arbeit für sich herausnehme, ist für „Metta“ ganz klar: ein gewisses Maß an Gelassenheit im eigenen Leben, „ob man den Wagen mal nicht gewaschen hat oder ein Mensch einen schräg anguckt“. Der Tod sei kein Tabu mehr und die Gewissheit bewusster: „Wir haben nur ein Leben.“
Ähnlich wie Mechthild Foitzik und Birgitt Brünken erlebt Stephanie Schleicher die besondere Zeit mit den Menschen. Die 47-jährige Kevelaererin, die fünfzehn Jahre Stewardess und Betreuungskraft im Katharinenhaus Winnekendonk war, begleitet für die Caritas im Rahmen des ambulanten Hospizdienstes Sterbende. „Ich hatte in der Familie wenig Berührung mit dem Tod. Mein Opa starb im Krankenhaus und wurde beerdigt, da gab es keine Nähe.“ Das Ganze wurde erst Thema für sie, als eine Nachbarin in Willich, wo sie damals wohnte, schwer an Krebs erkrankt war und sie diese auf dem letzten Weg begleitete. „Sie litt unter der Einsamkeit. Ich habe mit ihr gesprochen, habe für sie eingekauft.“ So wuchs sie in die Aufgabe hinein. „Ich hatte schon damals keine Berührungsängste.“
Sterbebegleitung bedeute, „Menschen zu mögen und die Fähigkeit zu haben, sich auf jeden Menschen neu einzustellen.“ Es sei wichtig, „die Freude und den Elan zu erhalten, auf diese Menschen zuzugehen und kraftvoll zu bleiben.“
Denjenigen, die nicht mehr erfassen können, was Weihnachten ist, versucht sie sich in der Zeit anders zu nähern. „Ich begleite zur Zeit eine bettlägerige Person. Da arbeite ich mit Weihnachtsdüften wie Bratapfel, Zimt oder Vanille mit Nelken. Damit kann man kleine Impulse geben.“
Jeder, der bewusst noch die Weihnachts- und Übergangszeit erlebe, gehe damit anders um. „Das wurde mal von einem Betroffenen thematisiert: ,Im nächsten Jahr bin ich nicht mehr da.‘ Der Person war es wichtig, dass der Weihnachtsbaum da ist und was gekocht wird“, erzählt die engagierte Frau.
Es komme auch darauf an, welche Bedeutung das Fest und diese Zeit für die Menschen vorher hatten. „Einige lassen das Leben Revue passieren, fragen sich, wer sich nicht mehr meldet, sind auch zornig darüber.“ Ganz selten und nur, wenn es von den Betroffenen ausdrücklich gewünscht wird, stelle man den Kontakt dann sogar her.
Eine Frau hatte einmal einen besonderen Wunsch, erzählt Stephanie Schleicher: „Ich will einen Burger mit Pommes frites.“ An dem Tag, wo Schleicher dieses Gericht dann mitbrachte, konnte die Frau es nicht essen. „Sie hat aber einen genießerischen Gesichtsausdruck gemacht, an den Pommes gerochen und einzelne auch gegessen.“ Die Menschen seien für Kleinigkeiten dankbar, „um das in sich aufzunehmen, was man noch mal an Lebensqualität haben kann.“
Zu Silvester stelle sich die Frage: „Was sagt man dann?“ Nicht einfach sei es, wenn den Menschen bewusst wird, dass das Ende naht. „Eine Dame mitttleren Alters meinte mal, sie wäre irgendwann im nächsten Jahr nicht mehr da und hoffte nur, dass die Kinder die Schule beenden.“ In solchen Momenten sei auch schon mal ein Hauch von Verbitterung spürbar.
Was für sie aus all dieser Arbeit hervorgeht? „Man sieht die Gesundheit noch stärker als wertvolles Gut an, das nehmen wir mit besonderer Wertschätzung wahr“, sagt Schleicher.
Und noch etwas hat sich über die Jahre für sie verändert. „Für mich war der Tod früher eine Grauzone. Ich habe jetzt viele Sterbeprozesse erlebt. Für mich hat das den Schrecken verloren. Jeder geht seinen eigenen Weg.“ Das wird auch 2019 nicht anders sein.