Ein Lernschub für Lehrer und Schüler beim digitalen Musikunterricht

Ein Virus hat es geschafft, weltweit vieles auf den Kopf zu stellen. Nach einer anfänglichen Ratlosigkeit hat sich auch das Musikerehepaar Maren und Thomas Brezinka schnell auf die ungewohnt andere Situation eingestellt. Wie sie aus der Corona-Pandemie für ihre Unterrichtspraxis neue Ideen gewannen und die Krise auch als bleibende Chance für die Zukunft sehen, darüber sprach das Kevelaerer Blatt mit den beiden Musikern.

KB: Sie unterrichten ja beide Geige und Bratsche bzw. Klavier im Einzelunterricht. Wie war dieser Unterricht in der Praxis in Corona-Zeiten? War es überhaupt möglich, unter Einhaltung der Abstands- und Hygienevorschriften zu unterrichten?

Maren Brezinka: Wir üben ja einen klassisch analogen Beruf aus und es war klar, dass wir uns deutlich verändern mussten. Ab 16.3. konnte man nur noch online unterrichten – zum Glück gibt es das heutzutage. Die erste Frage war: Wie soll das gehen, online miteinander zu musizieren, wo es doch immer etwas zeitversetzt ist? Denn Musik ist ja Zusammenklang und auch menschliches Kooperieren und Einfühlen. Also machten wir uns auf der Suche nach Ideen.

Es stellte sich heraus, wie wertvoll die unterschiedlichen digitalen Formate für unsere Arbeit sind, von denen wir die gängigsten ausprobierten: Threema, Email, WhatsApp, YouTube, Garage Band, Skype, Zoom, FaceTime, Duo. Dabei haben wir auch an den Datenschutz gedacht, wobei alle Eltern eingewilligt haben, dass wir online unterrichten. Sie haben auch sehr deutlich artikuliert, wie froh sie und ihre Kinder über unsere Online-Angebote sind. Denn gerade in dieser Zeit, als jeder auf sich selbst zurückgeworfen wurde, hat sich gezeigt, dass  die Fähigkeit, ein Musikinstrument zu spielen, von großem Wert ist. Ein Instrument zu lernen, ist eine Herausforderung für Geist und Körper gleichermaßen, die unserem Alltag einen tieferen Sinn geben kann.

Wie war die Umstellung auf reinen online-Unterricht praktikabel (auch vom Zeitmanagement und der Leistungsvorgabe)? Werden die Leistungsziele genauso erreicht wie beim Unterricht im direkten Gegenüber?

MB: Zunächst war es ein aufregendes Versuchslabor, nur praktikabel mit viel Speicherplatz auf den Geräten und mit ständiger Verfügbarkeit, was aber kein Problem darstellte, weil man ja Zeit hatte. Wir teilten die Schüler in zwei Gruppen ein. Die Jüngeren arbeiteten mit Elternhilfe an kleinen Videos, die sie mehrfach pro Woche schickten. Sie bekamen Lehrvideos von uns zurück mit Tipps, Demonstrationen, neuen Aufgaben. Dabei wuchs die Eigenverantwortlichkeit der Schüler – wer schickt schon gerne ein schlechtes Video von sich? – sowie die Selbstkritik und die eigenen Ansprüche, denn man hörte sich jetzt bewusster „von außen“ zu. Das alles bei etwas weniger Zeitanspruch für die Lehrer.

Die Verbesserungsvorschläge von uns waren nachhaltiger als sonst, weil die Schüler sie sich immer wieder ansehen konnten. Manch ein Schüler hat auf diese Weise ein ganzes Noten-Buch in einer Woche durchgearbeitet (sonst drei Stücke pro Woche), ein anderer hat Vibrato in zehn Schritten in einer Woche gelernt (was sonst monatelang dauert). Sicherlich war das für die Eltern mehr Arbeit, aber auch Freude. Und natürlich gab es auch Probleme wie arg verstimmte Instrumente oder dass den ganz Kleinen doch die lebendige Person der Lehrkraft sehr gefehlt hat.

Die größeren Schüler werden mit Skype, Zoom oder Facetime unterrichtet. Als technisches Hauptproblem stellte sich das zeitweilig schlechtes Internet in machen Orten dar, was von uns nach und nach – z.B. durch Wechsel von einem Format oder Gerät zum anderen – gemeistert wurde.Es stellte sich heraus: Es geht nicht alles, aber es geht viel, und es geht anders. Gewohnheiten wie Mitspielen oder Begleiten des Lehrers an Geige oder Klavier funktioneren nicht. Eben mal Noten und gefilmte Übehilfen zum Mitspielen schicken ist mehr Arbeit als sonst. Auch das Einspielen von Klavierbegleitungen zum Mitspielen erfordert mehr Zeitaufwand für den Lehrer.

Mit vielen Schülern haben wir mehrfach in der Woche Kontakt. Es entstanden Ideen, die dazu führten, dass jetzt viel eigenverantwortlichere Schüler bessere digitale Übehilfen für zu Hause bekamen. Auf diese Ideen wäre man vor der Corona-Zeit nicht gekommen. So wurden von den Schülern viel mehr Stücke fertiggestellt als sonst, d.h. mitunter in nur einem Monat das Pensum von zwei Monaten oder mehr.

Wie kann das sein? Haben die Schüler mehr Zeit?

MB: Einerseits ja, aber andererseits hatten sie auch mehr als sonst für die Schule zu arbeiten. Ich denke, es ist Mehreres: zunächst der Reiz des Neuen und der Spaß an der digitalen Kompetenz, gepaart mit Spaß an einer sinnstiftenden Tätigkeit in schwierigen Zeiten. Außerdem ist der Unterricht sehr konzentiert, sogar lustig und fantasievoll. Davon wird vieles bleiben für den Unterricht „danach“. Gelegentlich treffe ich – z.B. beim Einkaufen – einen Schüler live. Das ist immer ein Erlebnis! Wie unterschiedlich das doch ist, wenn man sich lebendig vor sich hat. Deswegen freuen wir uns natürlich alle, wenn wir endlich wieder analog unterrichten und musizieren dürfen. Aber die Erkenntnisse dieser Zeit werden bleiben.

Neben dem Einzelunterricht leiten Sie drei Kinder- und Jugendorchester. Natürlich fielen die letzten Wochen die Proben aus und momentan ist nicht absehbar, wann größere Gruppen an Menschen wieder zusammenkommen können. Haben Sie für die Jungen Streicher auch schon Möglichkeiten gemeinsamen Musizierens angedacht oder schon gefunden?

Thomas Brezinka: Das Wesen eines Orchesters besteht im kollektiven Musizieren, im Aufeinander-Hören, im Zusammensein mit Gleichgesinnten, in der gemeinschaftlichen Ausübung von Klangkunst mit ihren tiefgründigen Botschaften – im Idealfall vor einem konzentriert lauschenden aufnahmebereiten, wohlwollenden Publikum. Derzeit ist das natürlich nicht möglich – doch die Vorbereitung hierzu sehr wohl. Das heißt: wir haben auch hier Video- und Tonaufnahmen verschickt, entweder von ganzen Stücken (bei den Streichmäusen) oder von einzelnen Stimmen (Cappella Piccola) oder mit detaillierten Übeanweisungen für bestimmte schwierige Passagen (Jugendstreichorchester). Jede Streichmaus sollte uns dann eine Aufnahme schicken, bei der sie zu unseren Einspielungen mitspielt. Ebenso die Musiker der Cappella Piccola. Sobald wir von allen die Aufnahmen haben, kommen die nächsten Stücke dran. Das funktioniert sehr gut und hat den Vorteil, dass jeder seine Stimme richtig übt.

Auf diese Weise werden wir Ende Juni, wo wir hoffentlich in kleinem Rahmen wieder Konzerte geben dürfen (z.B. nur für die Eltern), sehr gut vorbereitete Orchester haben, die dann natürlich noch mehr Spaß am Zusammenspielen haben werden als sonst. Was wird das für eine Freude sein, wenn wir wieder konzertieren dürfen, sowohl für die Musiker, als auch das Publikum!

Das Interview führte Doris de Boer.