Ein Leben ohne Staunen?

Schon von klein auf war zu bemerken, dass in Richtung Zauberei etwas in der Luft lag, erzählt Tobias Velmer. „Ich habe das schon als Kind gemacht. Nichts mit Karten – eher dieses kindliche Verständnis von Zauberei, mit Zauberstab schwingen und es passiert etwas.“ Der Zauberkasten kam dann mit sieben oder acht Jahren. Er sei kein Träumer und kein Klassenclown, aber ein Junge mit einem starken Spieldrang gewesen. „Meine Mutter hat darüber mal mit einer Lehrerin gesprochen. Sie sagte: Er spielt, spielt, spielt. Und die Lehrerin sagte: Lassen Sie ihn doch spielen.“ Den „Homo ludens“, den „spielenden Menschen“, den habe er sich bis heute erhalten.

Nach dem Abitur studierte Velmer zunächst Lehramt in Dortmund und brach das Studium ab, nachdem er in Jürgen von der Lippes „Magic store“ in Köln Zaubergerätehändler wurde. Von dieser Zeit sagt er: „Da war in jeder Schublade ein neues Wunder.“ Dem schloss sich das Kulturstudium in Hildesheim an, wo er seine Frau kennenlernte. Als Kulturwissenschaftler*in stammen beide quasi „aus dem gleichen Stall“, sagt er. „Ich habe Kulturwissenschaft und ästhetische Praxis studiert. Hauptfach war bei uns beiden Theater, wir haben am Theater auch lange gearbeitet.“ Von daher war das Verständnis für die „zauberhafte“ Ader des Mannes gegeben. Die blieb immer erhalten, bis er entschied, mit der Profession Zauberei von Kevelaer aus durchzustarten.

Wenn Tobias Velmer seine aktuelle berufliche Situation schildern soll, dann braucht er nicht lange zu überlegen. „Im Moment bin ich hauptsächlich Vater, Lehrer, Hausmann und alles, was dazu gehört“, macht der 44-jährige Kevelaerer deutlich. 

Was das Jahr 2020 angeht, kamen zwar Aufträge rein, „aber es war ein absolutes Nulljahr.“ Insge-samt habe sich in dem Zeitfenster nach dem ersten Lockdown schon etwas aufgebaut. „Es gab Spontanbuchungen – auf Hochzeiten, bei Firmen, Messen, Mittelaltermärkten, die nicht von heute auf morgen gehen. Und es gab das Angebot für einige Privatveranstaltungen in Kindergärten und Schulen. Aber das ist dann nie zustande gekommen.“ Zwischendurch gibt er Online-Zauberunterricht auf Anfrage. „Das sind so Kinder zwischen zehn und dreizehn Jahren.“ Das Unterrichten sei nicht fremd – nach 15 Jahren Schauspielunterricht an Theatern als Theaterpädagoge. Und es tut ihm gut. „Da bin ich mitten drin. Und wenn sie aktiv dabei sind, kann ich für eine Stunde abschalten.“

Das Publikum fehlt als Teil der Darbietung

Zu Anfang der Corona-Pandemie habe er gedacht: „Ich nutze die Zeit, um kreativ zu sein, wenn die Kinder im Bett sind, der Tag zur Ruhe kommt. Bei mir hat das nicht funktioniert“, gesteht er. „Wenn ich probe, denke ich immer das Publikum mit. Ich brauche die Gemeinschaft, sonst fühle ich mich in der Art, wie ich zaubere, nicht zu Hause.“ Corona habe ihn somit „künstlerisch komplett runtergefahren.“ Da halfen solche Ereignisse wie die Idee, vor den Türen der Altenheime in Kevelaer zu spielen. Da gehe die Energie dann wieder ein Stück weit hoch. „Die fällt aber sofort wieder ab, wenn die kleinen Gegebenheiten vorbei waren“, sagt Velmer.

Der Kevelaerer findet das selbst für sich „ziemlich erschreckend.“ Das sei aber irgendwie zauber-spezifisch. „Ein Musiker, der sich im ersten Lockdown noch auf den Balkon stellen konnte, das ging. Schauspieler können ihre Darbietungen noch streamen, auch wenn das Live-Erlebnis fehlt. Aber sie arbeiten, und auch im Team als Teamerlebnis.“ Zauber*innen hingegen bräuchten die aktiv mitspielenden, mithandelnden Zuschauer*innen. „Und da fehlt mir halt der Partner, egal, wie viel ich probe und entwickle. Ich brauche den mitdenkenden Verstand.“ 

Zur Überbrückung machte er zu Silvester sogar Online-Shows, die über das Netz gelaufen sind. „Da haben wir Konferenzschaltungen gemacht für Menschen, die nicht bei ihrer Familie oder mit Freunden sein konnten. Die haben sich über den Bildschirm gesehen und die habe ich nachts unterhalten.“  Er habe das lange überlegt. „Aber Silvester habe ich tatsächlich gearbeitet.“ Dafür habe er sich dann ein Konzept überlegt. „Das wichtigste Mittel war nicht der Trick, sondern der Versuch, da Leich-tigkeit reinzubringen, Corona außen vor zu lasssen, obwohl es vordergründig nicht wegzudisku-tieren ist.“ 

Zauberei lebe durch das Staunen, sagt Velmer. In dem Fall ging es dann „um ein ungewöhnliches Erlebnis in einer ungewöhnlichen Zeit.“ Dabei gestaltete er Kunststücke sehr „frontal“, machte „Dinge, die durch ihre Optik wirken“ – so wie die Münzzauberei, bei der Geldstücke von der einen in die andere Hand wandern. „Da passiert ein optischer Umgang, der vermittelbar ist.“

Was natürlich fehlte, war der Livecharakter. „Das ist nicht mein Gefühl, wie ich Zauberei mache. Die Leute sehen nur Ausschnitte, sie können nicht Requisiten anfassen.“ Für ihn gehört das aber existenziell dazu. „Die Gegenstände müssen untersuchbar“ sein, die Leute mitmachen. 

Alles was in Distanz abläuft, sei „eine Beschneidung, nicht nur im Alltag, sondern auch in der Kunst“, sagt Velmer. Da habe er keinen anderen Weg gefunden, das zu toppen. „Es ist anders. Und für mich fehlt da was.“ Sonst spielt er immer gut 40-minütige Programme. „Hier habe ich sehr genau ausgewählt, was überhaupt Sinn macht. Den Anspruch, dass es für die Zuschauer in erster Linie ein positives Erlebnis ist, da muss man viel drüber nachdenken, was man zeigt.“ Aber sich neuen Ideen zuzuwenden, zu motivieren, dafür fehlt einfach der Funke. So habe er sich dann zwei Abende hingesetzt und sich selbst ehrlich gefragt: „Für wen mache ich das?“ Dann fiel die Entscheidung: Das musst du erstmal ruhen lassen. „Es ist völlig frustrierend, was zu erarbeiten, aber man kann es nicht zeigen.“

„Man kann was, aber man darf nicht“

Was ihm künstlerisch zu schaffen mache, sei die Perspektivlosigkeit und die Frage, wie lange es noch dauert, bis es wieder losgehen könnte – „ein halbes Jahr, ein viertel Jahr, vielleicht zwei Jahre.“ Durch die Kinderbetreuung habe er keine Chance, sich auf etwas anderes festzulegen. Das sei im Moment eine Art „Verkrüppe-lung, weil es einen so in die Falle lockt. Man kann was, aber man darf nicht.“

Velmer denkt tatsächlich darüber nach, den Beruf des Zauberers an den Nagel zu hängen und „möglicherweise, sogar wahrscheinlich mich nach einem anderen Beruf umsehen zu müssen.“ Die Gelder seien „halt schwächer und die Soforthilfen nicht so glorreich, wie sie dargestellt werden“, sagt er. Zwar habe er Coronahilfen bekommen – „am Anfang diese Soforthilfe und die Novemberhilfe habe ich beantragt mit dem Steuerberater. Die ist schon da.“ Das sei aber „nix, was lange trägt.“ Für völlig absurd hält er es, dass „die Dezemberhilfe mit der Novemberhilfe aufgerechnet wurde.“ Schließlich hatte er ja im Dezember noch die Engagements an den Wohnstiften und Altenheimen – und damit Einnahmen. „Im Rechner waren dann 39 Euro zu beantragen. Das fand ich zu doof.“ Und allmählich kämen auch die Rückzahlungen. Gott sei Dank arbeite seine Frau, sagt er. „Wir müssen uns nicht verschulden.“

Die Zauberei bleibt immer Teil seines Lebens

Vier Jahre lang habe er die Rolle als Zauberer entwickelt und war sehr zufrieden damit. „Ich bin sehr dankbar, dass ich die Chance hatte, das vier Jahre meinen Haupterwerb nennen zu können.“ Schließlich habe er ja lange überhaupt mit der Idee gespielt, dass er das machen wolle. „Man kann nie mehr sagen mit 50: ich habe es nie probiert.“ Die Zauberei werde nie wirklich weggehen und Teil seines Lebens bleiben, sagt der 44-Jährige. Aktuell sei er einfach „dankbar, dass die Familie gesund ist, wir ein Dach über dem Kopf haben und die Heizung funktioniert.“ Es gebe immer einen Grund auf höchstem Niveau zu klagen, findet Velmer. Aber das relativiere sich alles, „wenn man bedenkt, dass Menschen draußen erfrieren, Kinder unter Zeltplanen leben.“ 

Es gebe viele Momente und Begegnungen in der Zauberei, die ihm in Erinnerung sind, die er mitnehme, sagt Tobias Velmer. Und es gebe Menschen, die angerufen haben und fragen: „Wie geht es Dir? Was machst Du? Wir wären froh, Dich wieder live zu sehen.“ Das baue ihn auf. „Wenn die Leute sich dran erinnern, kann man sagen: Es ist nicht nur dieses ‚man albert auf der Bühne rum.‘ Dann hat man einen Menschen wohl tiefer berührt.“