Ein Känguru ist nicht gerne allein

Lui freut sich seines Lebens. Fröhlich und mit großen Sprüngen hüpft er durch die Wiese. „Hallo Lui, na, komm her“, ruft Katja Holzschuh mit fürsorglicher und ruhiger Stimme. Und als habe Lui auf dieses Rufen gewartet, hüpft das knapp einjährige Känguru in großen Sprüngen zu seiner Ersatzmama, um sich hier eine extra Portion Kuschel­einheiten abzuholen. Ein kleines Leckerli gibt es obendrauf.

Das Känguru mit den süßen Knopfaugen genießt den Kuschelmoment. Allerdings nicht lange. Denn sein ausgeprägter Bewegungsdrang lässt es schon bald wieder mit großen Sprüngen durch die Wiese hüpfen. Nein, hergeben möchte Katja Holzschuh den kleinen Kerl nicht mehr. „Mittlerweile ist er uns allen ans Herz gewachsen“, bestätigt ihre Mutter Melanie Preiß, die bereits vor einigen Jahren ein Känguru mit der Flasche aufzog und deshalb so ziemlich genau weiß, was da auf einen zukommt. „Es erfordert unglaublich viel Zeit“, berichtet die gelernte Tierpflegerin, die eigentlich dagegen war, erneut ein Känguru aufzuziehen.

Wie ein Gummibärchen

Im Frühjahr dieses Jahres sollte es jedoch anders kommen. Denn Luis Geburt im nahegelegenen Freizeitpark Irrland erforderte ein Umdenken und ein rasches Handeln obendrein. Geboren wurde Lui bereits im November vergangenen Jahres. „Ein Kängurubaby schlüpft bei der Geburt direkt in den Beutel seiner Mutter“, erklärt Katja Holzschuh. Mitunter dauert es einige Wochen, bis man überhaupt merkt, dass da ein Kängurubaby im Beutel der Mutter ist. „Zudem ist es nur so groß wie ein Gummibärchen“, fügt die junge Frau aus Twisteden hinzu. Im wärmenden Beutel der Mutter wird das Baby auch gesäugt. Erst viele Wochen später wagt das Kängurubaby dann einen vorsichtigen Blick aus dem Beutel heraus.

Lui war noch klein, als seine Mutter starb. Foto: privat

Beim kleinen Lui verläuft dieser natürliche Vorgang allerdings etwas anders. Denn fünf Monate nach seiner Geburt stirbt plötzlich seine Mutter. „Und ohne Mutter hat ein Kängurubaby keine Überlebenschance“, berichtet die 19-Jährige. „Und diese Rolle kann auch von keinem anderen Känguru übernommen werden“, fügt sie wissend hinzu. Lui wiegt zu diesem Zeitpunkt gerade mal 800 Gramm, besitzt zudem auch noch kein wärmendes Fell. Hilfe ist gefragt und schnellstmöglich erforderlich. Gemeinsam mit ihrem Freund Lucas Hertelt erklärt sich Katja Holzschuh bereit, den kleinen hilflosen Lui aufzunehmen, ihn zu pflegen und großzuziehen. „Inklusive schlafloser Nächte“, erinnert sich die Auszubildende zur Kauffrau im Versicherungswesen.

Lui aber erhält dadurch ein neues Zuhause und eine Überlebenschance. Ein mit Decken und Kissen ausgepolsterter Stoffbeutel dient zu Anfang als Beutelersatz. „Und damit Lui es auch schön warm hat, packten wir zusätzlich eine Wärmeflasche mit rein“, beschreibt die Ersatzmama die anfänglich anstrengenden Wochen. Spezielle Kängurumilch bestellt die frisch gebackene Kängurufamilie in den USA.

Und statt schicker Handtasche trägt Katja Holzschuh monatelang einen bunt bedruckten, aber nicht weniger schicken Stoffbeutel mit sich. „Ich habe Lui überall mit hingenommen, ob zum Einkaufen, Treffen mit Freunden, Spazierengehen… Lui war überall dabei und steckte zwischendurch auch seine Nase raus“, berichtet die junge Frau. Melanie Preiß steht ihrer Tochter dabei stets unterstützend und beratend zur Seite. Lui gedeiht prächtig und entwächst schließlich seinem Ersatzbeutel.

Ungewollte Ausflüge

Damit aber beginnt die nächste anstrengende Lebensphase. Lui erobert hüpfend das Haus und seine Umwelt. Einen zusätzlichen Spielgefährten und Freund findet Lui in Katjas Bruder, dem fünfjährigen Marcel. Zunehmend aber wird ihm seine gewohnte Umgebung zu klein und so unternimmt Lui hüpfende Ausflüge in die Nachbarschaft. „Also musste etwas passieren“, erinnern sich Katja Holzschuh und Lucas Hertelt, die auf einer am Ortsrand gelegenen Wiese für Lui ein neues Zuhause errichten. „Mit selbstgebautem Stall“, verkünden die beiden stolz. Gleichzeitig suchten sie für Lui einen Platz im Zoo oder Tierpark. Leider erfolglos. „Also haben wir uns entschlossen, ihn zu behalten“, verkündet Katja Holzschuh, die sich gleichzeitig dazu entschließt, ein zweites Känguru aufzunehmen.

Lui hat das Herz von Marcel schnell erobert. Foto: HvL

Einige Telefonate und Kontakte später ist es am 5. Oktober 2019 dann auch so weit. Eine dreijährige Kängurudame namens Lana bereichert die Känguruwiese. Damit nicht genug. „Wie wir erfahren haben, ist Lana schwanger“, verrät die jetzt zweifache Kängurumama, die mit strahlenden Augen auf glücklich hüpfende Kängurus blickt.

Da das Halten von Kängurus manchmal das Budget zu sprengen droht, haben Katja Holzschuh und Lucas Hertelt eine Bitte: „Vielleicht hat jemand eine ausgediente Holzhütte für uns, die wir zu einem Stall umfunktionieren könnten. Darüber würden wir uns sehr freuen und sagen schon mal Danke.“ Wer eine solche Holzhütte abzugeben hat, darf sich gerne bei den beiden unter k.holzschuh7@gmail.com melden.