Ein historischer Tag
Absolut nichts war rund um und in der Kevelaerer Basilika bei der Eröffnung der Pilgerpforte und dem Beginn der Pilgerzeit unter dem Motto „Ich bin, wo Du bist“ normal.
Vor den Eingängen des Gotteshauses waren an diesem Morgen klare Abstandsmarkierungen eingezeichnet. An den Türen wachten die Ordner der Petrus-Schützenbruderschaft mit Mundschutz darüber, dass nicht mehr als die erlaubten 150 Kirchenbesucher den Weg in die Basilika fanden.
Schon früh um 9 Uhr hatte man die Basilika geöffnet, um auf einen eventuellen Ansturm von Gläubigen vorbereitet zu sein. „Wir haben momentan da 30 Leute drin, zu normalen Zeiten wäre die Kirche schon jetzt voll“, machte der Generalsekretär der Wallfahrt, Dr. Rainer Killich, den Unterschied zu sonstigen Eröffnungen klar.
„Der Andrang hält sich in Grenzen“, war der mit Gesichtsmaske ausgestattete frühere Festketten-träger Heinz van Bühren froh, „dass wir keinen haben abweisen müssen.“ Ein paar wenige Plätze blieben sogar leer. Die Mitglieder der Kolpingsfamilie, die mit ihren Fahnen auf dem Kapellenplatz erschienen, durften aufgrund der beengten Situation nur mit einer Person und eine Fahne symbolisch mit einziehen. Diue Anderen verfolgten die Eucharistiefeier im „Forum Pax Christi“, wo die Wallfahrtsleitung einen weiteren „Viewpoint“ geschaffen hatte. „Kolping war zum 1. Mai immer da. Als Kevelaer zerstört wurde – und jetzt auch in der Krise“, meinte Michael Rübo vom Kolping-Kreisvorstand Kleve.
Weniger Andrang als erwartet
Am Hauptportal stand Desinfektionsmittel. An den Bänken waren kleine Schilder mit Wallfahrtslogo und der Aufschrift „Sitzplatz“ angebracht. Zwischen den Kirchenbänken waren die Aufschriften „Abstand halten“ deutlich sichtbar. Ein Ordnungsdienst wachte über die Einhaltung. Und auch die fünf Mitglieder des Mädchenchores der Basilikamusik sangen unter Leitung von Romano Giefer im Abstand voneinander stehend.
Es gab keinen Gemeinschaftsgesang bis auf den Schluss – und statt Händeschütteln bei „Friede sei mit Dir“ nur ein gegenseitiges Zunicken. Die heilige Kommunion wurde an sechs verschiedenen Stationen mit den entsprechenden Sicherheitsabständen ausgegeben. Im Mittelgang vor dem Altar wurde allerdings erkennbar, dass zwei nebeneinander laufende Reihen für einen Sicherheitsabstand nicht optimal sind.
Für die Gläubigen in der Kirche war die Situation mehr als ungewohnt. „Ich habe keine Worte, das ist alles surreal“, konnte Thomas Molderings kaum beschreiben, was er empfand. Tobias Kocken fand es „komisch, aber besser als keine Kirche. Das liegt an den Auflagen, das muß halt so.“
Annette Roweda war extra aus Voerde angereist. „Ich bin erleichtert, dass es überhaupt möglich ist. Ostern ohne Messe – das ist keine Kar-Woche“, meinte sie. „Es ist zwar etwas gespenstisch, aber so kann man nun wieder den Herrn empfangen und hoffen, dass es bald normal wird.“
Bei der Begrüßung der Gläubigen in der Kirche, der digital Anwesenden und des Limburger Bischofs Georg Bätzing, sagte Wallfahrtsrektor Gregor Kauling: „Das ist ein Tag, der für die Stadt, unsere Kirchengemeinde und so vielen Pilgern von besonderer Bedeutung ist.“ Er sprach im Kontext von Corona von einer „Menschheit der Betroffenheit“. Er habe das in den letzten Tagen spüren können. „Ob durch Freunde in Brasilien, Indien oder hier am Niederrhein: Wir sitzen alle in einem Boot.“ Da sei es gut „dass Fenster und Türen aufgehen. Vor allem das Fenster zu Gott.“ Später segnete er die Kerzen von Kolping und der St. Franziskus-Gemeinde Isselburg.
Bätzing – auch Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz – gestand in seinem Grußwort: „Mein Herz bebt in dieser Stunde etwas. Denn wer hätte gedacht, dass das in doppelter Weise ein besonderer Tag wird?“ Er meinte damit die Öffnung der Pforte als „besonderem Fest für die Stadt und für alle Pilgerinnen und Pilger“ und den ersten „Gottesdienst von Angesicht zu Angesicht.“
Mit Vorsicht und Augenmaß
Diese Zusammenkunft geschehe aber „mit Vorsicht und Augenmaß“ Deshalb dankte er „auch all denen, die entschieden haben, nicht zu kommen, sondern die Übertragungswege wahrzunehmen und auf diesem Weg die heilige Messe mitzufeiern.“ Denn „wir wissen, wir sind verantwortlich füreinander, weil diese Krise nicht vorbei ist“, sagte Bätzing.
„Wir können sie nicht einfach vorbeireden, sondern sie wird uns noch lange, lange in Atem halten und von uns Dinge erfordern, die wir einbringen müssen.“ Er dankte allen für ihre „Verantwortung und Klugheit.“ Dabei werde die Gottesmutter „uns Kraft und Stärke geben, diese Zeit miteinander und solidarisch füreinander zu gestalten.“
In seiner Predigt ging er auf die Schlichtheit des kleinen Andachtsbildes ein, das „hier seit Jahrhunderten so große Wirkung erzielt.“ Hinter der Kevelaerer Wallfahrt stecke „keine kirchliche Obrigkeit oder ein einflussreicher Orden“, würdigte er „die Frömmigkeit einfacher Leute“ und des Händlers Hendrik Busmann. Er habe „in den Zeiten der Bedrängnis des Dreißigjährigen Krieges“ mit seiner Frau aus Kevelaer „seinen eigenen kleinen Haltepunkt und Trostort“ gemacht – und zum Verweilort vieler Million Menschen über fast vier Jahrhunderte.
Das verglich er mit den „vielen kreativen Ideen, die in den vergangenen Wochen entstanden sind“, um viele Menschen „in dieser so anspruchsvollen Zeit eingeschränkter Sozialkontakte und solidarischer Sorge um die besonderen Risikogruppen zu tragen.“ Die wahre Kostbarkeit des Bildes liege „in dem Glauben, der Hoffnung und der Liebe, die hier an dieser Quelle entspringen.“ Das Gnadenbild der Maria gewinne in diesen Coronazeiten neu an Bedeutung, da sie „die Krone unseres Dankes (…) mitleidend, zugänglich und ansprechbar für unsere Anliegen und Nöte trage.“
Drei Details
Besonders im Detail berührten ihn deswegen einmal die drei Kronen in dem Bild. „Corona“, das heißt Krone“, schlug er dabei auch den Bogen zu dem Virus und der „trügerischen Hoheit“, die diese „gefährliche Krankheit“ zeige. „Die Krone dieses Virus ist eine Plage der Menschheit“, die uns noch „Jahre und Jahrzehnte“ belasten werde.
Zum Zweiten nannte er die vielen Perlen im Bild, die äußerlich Tränen gleichten, die sicherlich in großer Zahl an dem Gnadenbild geflossen seien. Zur Zeit werde auch viel geweint „um die Schwerkranken auf der Intensivstation und die Sterbenden, die ihren letzten Weg unbegleitet gehen mussten, von denen in Kurzarbeit und mit Existenzsorgen oder auch „im Unverständnis der Kinder, den Großeltern nicht um den Hals fallen zu können.“
Dem setzte er „die wunderbare Aufmerksamkeit füreinander“, die „Zeit, die Familien wieder gemeinsam verbringen“ oder auch „die neue Wertschätzung für unser System von Absicherung und Vorsorge in Staat und Gesellschaft“ und ein „neues Zusammenrücken der Länder Europas“ entgegen.
Und der Mantel der Trösterin besitze in der Hinsicht für ihn „große Signalwirkung“ , um „den Schwächsten menschliche Zuwendung und Geborgenheit zu schenken, ihnen mit palliativer Sorge auf dem letzten Lebensabschnitt“ zu helfen und dem Sterbenden „alle nötige Hilfe schmerzlindernder Medizin zukommen zu lassen.“
Kritik am Urteil des Bundesverfassungsgerichts
Das sei die „christliche Antwort auf den manchmal aus Verzweiflung geäußerten Wunsch, langes und unerträgliches Leiden beenden zu wollen“, kritisierte er das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar zur „geschäftsmäßigen „Suizidbeihilfe“, wie er es nannte. „Denn sie stellt einen tiefen Einschnitt in die Rechtskultur und die ethischen Grundwerte unseres Landes dar.“
Die autonome Selbstbestimmung werde über den Schutz des Lebens gestellt, Selbsttötung „sozusagen zum Inbegriff der Autonomie des Menschen, die von Staat und Gesellschaft zu respektieren sei.“ Das werde den Druck auf „besonders verletzte Menschen“ erhöhen, das Leben zu beenden. „Das möchte ich nicht widerspruchslos hinnehmen.“
Das Urteil fordere Christinnen und Christen dazu heraus, „ganz entschieden für die Heiligkeit und Unverletzlichkeit des Lebens einzutreten, für das Lebensrecht der Schwachen, Kranken, Leidenden und Sterbenden“, sagte Bätzing. „Sie haben Lebensanspruch und Lebensanrecht bis zum letzten Atemzug.“ Dementsprechend werde die Kirche ihren Einsatz für die Palliativmedizin und die Hospizarbeit verstärken „und gegen allen ökonomischen Kostendruck dafür öffentlich eintreten“, so der Bischof.
„Der weite Mantel menschlicher Fürsorge ist bei Weitem der sicherste Raum für menschliches Leben und Sterben in Würde.“ Das sei „in dieser Zeit vielleicht die wichtigste Botschaft des Gnadenbildes von Kevelaer“ und ein „Auftrag, den wir von dieser Pilgerstätte mitnehmen.“ Dafür gab es am Ende der Predigt Applaus.
Öffnung der Pforte von innen
Danach wurde die Pilgerpforte nicht mit einem Schlüssel von dem Bischof von außen geöffnet, sondern aus Sicherheitsgründen von innen. Die Petrus-Schützen zogen die beiden schweren Türen dann auf. Die Gläubigen sollten bis zum Gang zum Gnadenbild auf ihren Plätzen sitzen bleiben und die Worte der Geistlichen dort verfolgen – nicht alle hielten sich allerdings daran.
Nach der Segnung der Pforte durch den Bischof gingen die Kirchenvertreter zum Gnadenbild in der Gnadenkapelle. Kauling und Bätzing hielten an dem Marienbildnis einen Moment lang gemeinsam inne. Dann setzten sie die Gebete und Gesänge vor dem Gnadenbild unter Beteiligung der anwesenden Gläubigen fort.
Bätzing segnete die Pilgerkerze dieses Tages. „Viele Menschen haben lange Zeit schon darauf gewartet, daß wir gemeinsam feiern. Es ist sehr anders, als wir es gewohnt sind – daran werden wir uns gewöhnen müssen, und wir werden uns daran gewöhnen“, zeigte er sich tief bewegt darüber, dass er „diese Feier hier mit Ihnen als Bischof begehen durfte. Das hätte ich vor ein paar Jahren nicht gedacht.“
Später meinte er: „Die Organisation dieses Gottesdienstes – mit den Hygienemaßnahmen und dem Ordnungsdienst – das hat mir Sicherheit gegeben, dass man so feiern kann. Das ist in der Weise hier sicher ein Vorbild.“ Und er gestand er noch einen kleinen Patzer. „Ich hab die Eröffnung gesungen wie gewohnt und dann gedacht: Ich soll ja die Leute nicht herausfordern zu singen.“