Ein Ehrenamt, das glücklich macht

Es mag nach einer kurzen Etappe auf einem langen Weg klingen, aber wenn man genau hinschaut ­– auf das Geleistete und Erreichte – wird sofort klar, warum der zehnte Geburtstag für den ambulanten Hospizdienst des Caritasverbandes Geldern-Kevelaer ein erster festlicher Moment des Dankes und des Innehaltens war. Die beiden Leiterinnen Birgit Stienen und Franziska Eickmans hatten sich richtig was einfallen lassen, um die Arbeit ihrer derzeit 38 ehrenamtlichen Hospizhelfer gebührend zu würdigen: der SPD-Grandseigneur Franz Müntefering und Musikerurgestein Purple Schulz sind schon besondere Geburtstagsgäste. Aber eigentlich standen nicht sie im Mittelpunkt, sondern die durchweg ehrenamtlich tätigen Hospizhelfer und ihre Angehörigen.

Zu diesen gehört das Vierergrüppchen Barbara Wallis, Ingrid Haß, Irene Brück und Maria Stolzenburg, die, so man ihnen ein wenig zuhört, offensichtlich nicht nur die Hospizarbeit verbindet. Alle vier Damen haben sich im gemeinsam besuchten Qualifizierungslehrgang kennengelernt, der Basis für die Arbeit mit Sterbenden und deren Angehörigen ist. In diesem auf ein Jahr angelegten Kurs geht es unter anderem um Gesprächstraining, Fremd- und Eigenwahrnehmung und schließlich auch um die Balance aus Nähe und Distanz, die es zu finden gilt, um sich einerseits in einen anderen Menschen einzufühlen, andererseits aber nicht „jeden Tod mitzusterben“.

Was treibt einen an, sich ehrenamtlich mit dem Sterben fremder Menschen auseinanderzusetzen? Für alle vier Hospizhelferinnen stand am Anfang ihrer nunmehr fünfjährigen Tätigkeit ein Schlüsselerlebnis im persönlichen Umfeld – die Begleitung eines geliebten Familienmitgliedes im Sterbeprozess –, aus dem der Wunsch erwuchs, etwas von der erfahrenen Anteilnahme an andere weiterzugeben.

Irene Brück fasst es für sich so zusammen: „Ich möchte in der Dankbarkeit für das eigene Leben etwas zurückgeben“. Aber auch die positive Variante eines „Helfersyndroms“ ist notwendig, wie alle vier Frauen lachend eingestehen, und zwei begleitende Ehemänner wollen nicht wirklich widersprechen. Die Rolle der Lebenspartner für jeden Hospizhelfer ist nicht zu unterschätzen, leisten doch gerade sie einen wichtigen Beitrag, das Erlebte zu verarbeiten, vielleicht mehr als jede noch so gute Supervision und Gesprächsrunde.

Der Umfang der Sterbebegleitung fällt naturgegeben sehr unterschiedlich aus, von wenigen Stunden bis hin zu längeren Zeiträumen von Wochen und selten Jahren ist alles möglich. Wichtig ist, dass die sprichwörtliche Chemie zwischen Sterbendem und seinem Begleiter stimmt – daran ist den beiden hauptamtlichen Mitarbeiterinnen im Hospizdienst, Birgit Stienen und Franziska Eickmans gemeinsam mit den Ehrenamtlichen sehr gelegen, denn nur so kann ihre Arbeit gelingen. Die sieht sehr unterschiedlich aus und reicht vom stillen „Einfach-da-sein“ über das gemeinsame Singen eines geliebten Liedes bis hin zum Anhören von Episoden aus dem Leben des Sterbenden, was für beide Seiten nicht immer leicht ist.

Darauf angesprochen, was ein Hospizhelfer mitbringen sollte, antworten denn auch alle vier Frauen, dass eine starke Gemütsverfassung unbedingte Voraussetzung ist, wie auch eine ständige Begleitung durch Supervision und letztlich auch den Lebenspartner, beziehungsweise das eigene soziale Umfeld.

Der eigentliche Festakt im Konzert- und Bühnenhaus war aufwendig arrangiert und nach lockerem Empfang und Gesprächen bei „Sekt & Schnittchen“ eröffneten Birgit Stienen und Franziska Eickmans mit launig-charmanter Moderation den Abend. Ein Grußwort des stellvertretenden Bürgermeisters der Stadt Kevelaer, Johann-Peter van Ballegooy, folgte, bevor Karl Döring aus dem Vorstand der Caritas den Hospizdienst inhaltlich und funktionell in das Aufgabenspektrum des Verbandes einordnete. Genauso wie der Sterbeprozess ein unausweichlicher Bestandteil des Lebens ist, gehört ein würdevoller Umgang mit Sterbenden zu einer zivilisierten Gesellschaft. Schließlich ist die Sterbebegleitung ein unverzichtbarer Dienst im Sinne christlicher Solidarität und ordnet sich damit in den diakonischen („dienenden“) Grundauftrag der Kirche ein.

Festredner Franz Müntefering Foto: MaWi

Hauptredner des Abends war zweifelsohne Franz Müntefering, langjähriger SPD-Bundestagsabgeordneter, Vizekanzler, ehemaliger Bundesminister für Arbeit und Soziales und letztlich charismatischer Vollblutpolitiker, für den „Ruhestand“ kein Begriff ist. Der Tod seiner zweiten Frau war nicht nur in jeglicher Hinsicht ein lebensändernder Einschnitt für ihn – er legte in Folge sein Amt als Bundesminister und Vizekanzler nieder –, sondern brachte ihn auch den Palliativ- und Hospizdiensten näher, für die er sich seitdem engagiert.

Wie schon Karl Döring, stellte auch Müntefering den Tod als Teil des Lebens in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen – „Sterben ist normal“. Dass das in unserer Gesellschaft, in der das Wohnen mehrerer Generationen unter einem Dach fast nicht mehr gegeben ist, in der „ewige Jugend“ das Credo ist und die das Thema Sterben vornehmlich an den dunklen Rand drängt, keineswegs normal ist, steht dazu in einer gewissen Spannung. Viele Entwicklungen in der Gesellschaft, sei es der Trend zu Ein-Personen-Haushalten oder auch die Fortschritte in der Hochleistungsmedizin führen zu vollkommen neuen Anforderungen, wenn es darum geht, Menschen an ihrem Lebensende würdig zu betreuen.

Von der Forderung palliativ- und hospizdienstliche Versorgung flächendeckend anzubieten, träumt gewiss nicht nur Müntefering, sondern auch die Engagierten bei der hiesigen Caritas tun dieses. In diesem Zusammenhang mahnte Müntefering die längst überfällige Aufwertung sozialer Berufe und Tätigkeitsfelder an, die sich in einer höheren gesellschaftlichen Anerkennung ebenso äußern muss wie in einer besseren Bezahlung. Die unersetzliche ehrenamtliche Arbeit vergaß er dabei selbstverständlich nicht und strich heraus, dass Leistungsfähigkeit nur in der Verzahnung von dieser mit hauptamtlicher Arbeit entsteht. Seiner Quintessenz „Helfen und sich helfen lassen sind Kernwerte in einer Demokratie“ mag gewiss niemand widersprechen.

Nach einer etwas unfreiwilligen Pause – der nun folgende Künstler war kurzzeitig nicht auffindbar –, übernahm dann Purple Schulz die Bühne. In seinem Soloprogramm „Einzig, nicht artig“ präsentierte er Songs aus 35 Jahren seiner Bühnenkarriere und las auch eigene Texte.

Das Lied „Der letzte Koffer“ hatte Birgit Stienen und Franziska Eickmans derart angerührt, dass sie sich entschieden, Purple Schulz für diesen Abend einzuladen, der nach eigenem Bekunden spontan zugesagt hat. Gemäß seinem programmatischen Motto war er dann auch wenig artig und begeisterte das Publikum mit seinen gesellschaftskritischen Songs – so wie man es eben von einem Alt-68er erwartet.