Ein bewegender Abschied des Kaplans
Ein entspannter Christoph Schwerhoff sitzt mir im nicht ganz aufgeräumten Garten hinter dem Priesterhaus gegenüber. Gut 24 Stunden zuvor hatte er sich im Anschluss an einen Festgottesdienst am Sonntag in einer Zusammenkunft von den Kevelaerern nach vier Jahren als Kaplan der Kirchengemeinde St. Marien verabschiedet. „Ich habe da gefühlt bestimmt zwei bis drei Stunden gestanden, und das in der Sonne“, sagte er, fand es aber „einfach schön, einzeln Tschüss zu sagen.“ Das Ganze habe verschiedene Erinnerungen an verschiedene Menschen und „viele Tränen“ mit sich gebracht, sagt der 34-Jährige. „Man kriegt erst mit, was einem fehlt, wenn man es verliert“, hatte er das beim Gottesdienst zuvor schon wahrgenommen. Viele Messdiener waren gekommen. Er habe die Predigt abbrechen müssen, weil er so berührt war, und sagte nur noch: „Ich kann nicht mehr, vielen Dank.“
Am 9. Juni 2016 kam der Münsterländer, der in Münster und Wien katholische Theologie studiert hatte, an den Niederrhein: „Mein erster offizieller Termin war mit dem KB“, konnte er sich noch gut daran erinnern. Damals habe Kevelaer eigentlich gar nicht auf seinem Zettel gestanden, gesteht der scheidende Kaplan. „Es waren Stellen frei, es gab Listen, da war Kevelaer nicht drauf. Es war unklar, ob Wenning, mein Vorgänger, geht. Er kannte Kevelaer als Wallfahrer, war sich schnell klar, dass das eine „exponierte Stelle“ ist. Und gleich mit der ersten Messe zum 1. Mai und dem Vorsitzenden der Bischofskonferenz als Gast landete er in der BBC. „Das war für mich komisch, das war meine zweite oder dritte Messe überhaupt erst – und dann gleich vor Fernsehpublikum“, gesteht er. Er habe eine längere Eingewöhnungsphase gehabt, wobei es einfach gewesen sei. „Rolf Lohmann und Hendrik Wenning haben damals viele Türen für mich geöffnet.“ Dafür ist Schwerhoff bis heute dankbar. So habe er sich gut einfügen können. „Ich fühlte mich von den vielen Gruppen hier mitgenommen, zumal beide gut vernetzt waren.“
Das Spektrum reichte von der Jugendarbeit, der Begleitung der Lektoren, Kommunionhelfer und Zeremoniare über die Begleitung der Malteser bis zur Motorrad- und Tamilenwallfahrt und der Zusammenarbeit mit den Grundschulen, „ein bisschen“ Chorarbeit („Ich singe eher schräg“) und der Erstkommunions- und Gottesdienstarbeit. 2017 durfte er dann gleich die Leitung von St. Marien kurzzeitig übernehmen, als Lohmann sich verabschiedete. Er nahm die Herausforderung an. „Wenn was passiert, bist du dran. Du kannst dich nicht wegducken“, sei die eine Seite der Medaille gewesen. „Zu merken, dass dein eigenes Wort Gewicht hat und du Dinge gestalten kannst“, das war die andere Seite.
Ein bisschen wie im Hotel
Auch das Leben im Priesterhaus habe zwei Seiten. „Ein schönes Haus, ich habe im Garten gerne gesessen, wir werden gut versorgt. Aber ich wohne auch so ein bisschen wie im ‚Hotel‘, das ist nicht meine Art.“ Wenn Geranien vor dem Fenster ‚installiert‘ werden „und du weißt nix davon, aber du hast sie dann vor deinem Fenster“, nennt er ein ganz einfaches Beispiel dafür, was er meint.
Die Arbeit, die ihm am meisten Spaß gemacht hat, sei die Beschäftigung mit den Messdienern gewesen, gesteht er. „Die waren sehr selbstständig und verantwortungsvoll.“ Sie zu begleiten, sei leicht gwesen, „aber auch gut, von ihnen herausgefordert zu werden, denn sie sind ja auch nicht unkritisch.“ Fasziniert habe ihn, als er an den Kerzenständern bei der Tamilenwallfahrt stand und die „vielen Gewänder, Gewürze und Düfte, das Mittendrin“ wahrnehmen durfte. Beeindruckend fand er auch den Besuch eines Kardinals aus Osteuropa, der lange unter den Kommunisten eingekerkert gewesen war.
Die wichtigsten Begegnungen, die habe er „im Beichtstuhl“ gehabt. „Da Menschen zu erleben, die neu starten dürfen, und ein, zwei Menschen, die bei der Lossprechung gezittert haben“, das hat bei ihm tiefen Eindruck hinterlassen. Und die überraschendsten Momente seien die Fragen der Erstkommunionkinder gewesen. „Ein Kindergartenkind rief mal an und fragte: Wie hat Gott das Wasser geteilt? Ich habe dem Kind dann ein paar Geschichten erzählt und musste eingestehen: Ich weiß es nicht.“
Anspruch und Wirklichkeit
Der Missbrauchsskandal der katholischen Kirche, der auch in Kevelaer seinen Ausdruck gefunden hat, sei ein „Schlag ins Kontor“ gewesen. Er habe sich schon gefragt: „Möchte ich in dieser Reihenfolge stehen und da dabei sein?“ Die Schlagzeilen hätten ihm gezeigt, „wie stark das mit dem eigenen Menschsein verknüpft ist.“ Auch da stelle sich die Frage nach dem Sinn dessen, was man mache. „Wieviel Vertrauen zu Recht da verspielt“ worden sei, das sieht er. „Das ist eine Anfrage an Kevelaer“, sagt er. Hier versuche man im positiven Sinne mit Elementen wie der Basilika oder der großartigen Musik zu überwältigen – „und wir haben das in negativem Sinn getan.“ Anspruch und Wirklichkeit in der Kirche dürfen nicht so weit auseinanderfallen ist seine Überzeugung. Einerseits müsse man solche Fälle aufklären und verfolgen, andererseits gelte das Beichtgeheimnis als Kern der Kirche. „Das ist eine Zwickmühle – so richtig da raus kommt man nicht.” Es komme darauf an, Priester zu haben, „die Jesus Christus dienen wollen und sich dieser Aufgabe zur Verfügung stellen. Ansonsten wäre diese Zeit vorbei“, ist ihm die existenzielle Krise der Kirche bewusst. Man müsse sich auf den Kern berufen, „dass wir eine sehr gute Botschaft haben. Manchmal wäre es ein Traum, mit den gleichen Grundbotschaften neu anzufangen. Aber wir werden unsere Geschichte nicht loswerden.”
Ihm habe an Kevelaer gefallen, dass man hier seine Schwäche offenlegen könne – auch im Rahmen einer Predigt. „Das ist das, was in der Gesellschaft oft fehlt“, ist Schwerhoffs Eindruck. Bis Ende Juli wird Schwerhoff noch in Kevelaer bleiben. Dann folgen eine Woche Urlaub und der Umzug im August. Sein neuer Arbeitsort ist die Gaesdonck, wo er Gottesdienste und Firmungen halten, vielleicht auch unterrichten wird. Und er ist dann Subsidiar für das Gocher Land. „Ich freue mich vor allem auf die Schüler. Nur mit Jugendlichen zu arbeiten, ist eine andere Herausforderung. Ich hoffe, dass ich durch ihren Blick auf die Welt nochmal geweitet werde.“