„Die Kirche ist keine Sonderwelt“

Das Thema „Reform der katholischen Kirche“ scheint den Gläubigen ziemlich unter den Nägel zu brennen. So fand sich bei den Kevelaerer Gesprächen zu diesem Thema im großen Speisesaal des Priesterhauses kein freier Platz mehr.
„Wandel und Reform haben als Themen in der Außenwirkung der katholischen Kirche viel Raum. Darüber erhoffe ich mir eine lebendige Diskussion“, begrüßte die Organisatorin dieser Kevelaerer Gespräche, Andrea Spans vom Katholischen Bildungswerk, die Zuhörer. Für diesen Abend hatte sie Michael Seewald, eingeladen. Der Münsteraner Professor für Dogmatik und Dogmengeschichte hatte seinen Vortrag unter die Grundfrage gestellt: „Kann die katholische Glaubenslehre sich verändern? Spielräume in der katholischen Kirche.“
Sachlich, aber klar in seinen Positionen, widmete er sich in knapp 40 Minuten den Lehren, „die der Papst und das Bischofskollegium uns vortragen.“
Seewald erläuterte die Geschichte des Dogmas, das als Begriff in der Bibel nur fünfmal und im späten 5. Jahrhundert von Vinzenz von Lérins zur Kennzeichnung einer verbindlichen christliche Glaubenslehre genutzt wurde. Aber erst nach der Reformation sei der Begriff aufgegriffen worden, um Religionen verbindlich zu unterscheiden. Die typisch neuzeitliche Bedeutung des Dogmas habe erst 1870 mit dem ersten vatikanischen Konzil Einzug gehalten: „Etwas ist von Gott offenbart und die Kirche verkündet es mit dem höchstem Anspruch auf Verbindlichkeit.“
Das zweite vatikanische Konzil habe den Begriff kaum verwendet und nicht positiv gesehen, so Seewald. Das Lehramt und die Päpste hätten sich darum nicht geschert und „weiter an dem Begriff herumgebastelt“, sagte der Professor. Der Weltkatechnismus habe dann 1992 eine völlig neue, „hochpro­blematische Neufassung des Dogmenbegriffs erfunden“.
Seewald wertete das als „kirchenpolitisch äußerst durchsichtiges Manöver“, um die Grundlagen für ein Nein zur Frauen-Ordination zu schaffen. „Weil Jesus ein Mann war und Priester den männlichen Jesus repräsentieren.“
Dogmatische upgrades
Diese Neufassung schaffe die Möglichkeit eines „dogmatischen upgrades“ für noch mehr Verbindlichkeit als ein von Gott offenbartes Dogma. „Dann kann es aber auch down-rades geben im Sinne geringerer Verbindlichkeit“, hielt Seewald dem entgegen.
Was Veränderungen angehe, gebe es in der katholischen Kirche aktuell drei Modi: die Autokorrektur als seltenster Modus. „weil Selbstkritik nicht zur Stärke des Lehramtes gehört.“
Der zweite Modus sei das „Austilgen der Erinnerung“. Man behauptet einfach nicht mehr Dinge und hofft, dass es keiner merkt. Wie bei der Papstes Pius XII., der die darwinistische Evolutionstheorie in Verbindung mit Adam und Eva brachte. „So wollte er die Erbsündenlehre retten.“ Oder die Kirche wende den Innovationsverschleierungsmodus an. „Sie tut was Neues, darf das aber nicht sagen und sagt, dass das Neue alt ist“, erklärt Seewald. Als Beispiel nannte er die Gewissens- und Religionsfreiheit, die laut zweitem vatikanischen Konzil „zur Würde der menschlichen Person gehört.“ Vorher galt diese für die Kirche aber nur da, wo Katholiken in der Minderheit waren.

Michael Seewald referierte über die Reform in der Katholischen Kirche.


Es gebe aber Spielraum für Reformen, zitierte Seewald Benedikt XVI. . Demnach müsse sich Kirche nicht an den Dogmen festhalten. Über diese werde in der Gemeinschaft der Gläubigen entschieden.
In der anschließenden Fragerunde äußerte sich viel Ärger über die aktuelle Situation der Kirche und auch ein bisschen Ratlosigkeit. Ob in der Kirche Demokratie und Rechtsstaat möglich seien, fragte ein Mann aus Schaep­huysen. In Sachen „Sexuallehre, der Frauen-Ordination und verheiratete Männer im Priesteramt“ müsse sich was bewegen, forderte ein anderer Zuhörer.
Man müsse das Patriachat stürzen, um Kirche für beide Geschlechter wirklich möglich zu machen, meinte eine ältere Frau. Wie man den Konflikt zwischen Kirche und Wissenschaft auflösen und Jugendliche wiedergewinnen könne, lautete eine Frage. Und was man als Einzelner tun könne, um Druck aufzubauen.
Seewald machte deutlich, dass er kein Kirchenpolitiker sei und nicht wisse, wie sich die Kirche weiterentwickeln würde. Die Kirche sei keine Demokratie, aber solle diese „nicht so abtun.“
In Sachen „Frauen-Ordination“ habe sich die Kirche so verbarrikadiert und das „zum Zeichen des Katholischen erklärt“, dass er da Frauen keine Hoffnung machen wolle, sagte Seewald: „Je mehr die Leute wissen und Auskunft fordern, desto schwerer wird es, solche Dinge durchzuziehen.“
In der Frage „verheirateter Männer im Amt“ sehe die Situation besser aus: „Das ist der Verfügungsbereich des Papstes, das ist nur ein Federstrich.“
Die Kirche müsse sich der Fehlbarkeit ihres Wissens stellen und sich nicht dem verweigern, was von der Wissenschaft eindeutig belegt sei. „Da wird die Kirche sonst den Kürzeren ziehen“, machte er klar.
Von Nirvana und Märtyrern
Man könne feststellen, dass sich in der Kirche nicht mehr der Querschnitt der Gesellschaft abbilde und sich die kleine Gruppe der Führungsträger in einer Art „Nirvana“ zunehmend als „Märtyrer“ sehe.
Es brauche dringend eine „menschliche Instanz von Machtkontrolle“, so Seewald. Und die Tatsache, dass Bischöfe und Kardinäle für Verbrechen vor Gericht stünden, wertete er als „Normalisierung“ der Verhältnisse. „Die Kirche ist keine Sonderwelt.“