Dechant Gregor Kauling, derzeit Pfarrer in Dinslaken, wird neuer Wallfahrtsrektor in Kevelaer. (Archivfoto: Bischöfliche Pressestelle / Martin Büttner)

Die Kirche im Umbruch

Dass bei dem Gesprächskreis des KKV nicht nur das Thema „Die Kirche im Umbruch“ im Mittelpunkt stehen würde, stand an diesem Donnerstagnachmittag bereits fest. Nachdem Franz Josef Probst, Vorsitzender des Verbands der Katholiken in Wirtschaft und Verwaltung (KKV) die Gesprächsrunde eröffnet hatte, blickte der Referent Pastor Gregor Kauling zunächst auf das Leben des am 13. Januar 2020 verstorbenen Richard Schulte Staade zurück, den er in seinen letzten Tagen eng begleitet hat. Mit einem Gebet und dem Moment des Innehaltens gedachten die Anwesenden des Verstorbenen. Anschließend führte Kauling mit einem Rückblick auf die früheren Strukturen und Kerngebilde der Kirche in die Gesprächsrunde ein.

Gleich zu Beginn nahm der leitende Pfarrer in St. Marien Kevelaer eine Geschichte aus dem Neuen Testament als Anlass zu verdeutlichen, dass die Kirche sich wandelt und sich vor allem wandeln darf. Er sprach in seiner Geschichte von der Heilung der Schwiegermutter des Petrus durch Jesus. Doch dabei lag der Fokus in seiner Ausführung keineswegs auf der Heilung selbst, nein. Der Fokus lag auf der Tatsache, dass Petrus eine Schwiegermutter hatte. Das nämlich bedeute im Umkehrschluss, dass Petrus eine Frau hatte, meinte Kauling. „Dann müssen wir nicht in Ohnmacht fallen, wenn es bald verheiratete Priester gibt“, appellierte er lächelnd mit deutlichen Worten.

Kirche sei ein lebendiger Prozess der Beziehung und Gemeinschaft, man dürfe sie nicht als reine Organisation verstehen. Viele jedoch würden das System nicht mehr verstehen, meinte Kauling. Oft sei auch eine Entfremdung von Gottes Glauben selbst zu erkennen. „Ich merke immer mehr, wie schwierig es ist, Menschen dann wirklich zu erreichen“, erklärte Kauling. Es stünde vor allem die Frage im Raum: Wie können wir Kirche heute in ihren Systemen/Dienstämtern neu denken? Am wichtigsten sei dabei stets, sich auf Gott als Herzmitte, als das Wesentliche zu konzen­trieren.

Die Verbindung zur Kirche hat sich gewandelt

Mit Blick auf diese Worte wurde die Gesprächsrunde durch die Frage eines Anwesenden eingeleitet: „Ist Glaube heute schwieriger als früher?“ Zunächst stellte Kauling daraufhin klar, dass auch zu seiner Jugend „die Kirche nicht brechend voll mit Jugendlichen“ war. Dennoch sei es für ihn als Jugendlichen sicher etwas einfacher gewesen. Er erinnerte sich lächelnd an die Zeit. Oft habe man die Messe besucht und anschließend Party im Keller des Pfarrheims gemacht. Am Beispiel seiner Messdiener verdeutlichte er, dass die Verbindung zur Kirche sich auch schlichtweg gewandelt hat: „Wenn unsere Messdiener auf dem Plan stehen, sind sie da. Wenn sie nicht drauf stehen, sind sie auch nicht da.“ Dennoch seien alle mit Zuverlässigkeit und großem Zusammenhalt untereinander dabei.

Viele der Anwesenden waren sich einig, dass es in der heutigen Zeit einfach zu viele Ablenkungen gebe. Zudem gehörte es früher fest zum Alltag, die Kirche zu besuchen. Heute ist der Messbesuch keine Pflicht mehr. Eine der Anwesenden fasste das Problem der heutigen Zeit zusammen: Es sei heute schwieriger, den Fokus und den Glauben zu behalten, weil es einfach zu viele Aufgaben und zu viel Hektik im Leben gebe. „Ich kann es verstehen, dass es echt schwer geworden ist“, machte Kauling deutlich. Schließlich sei die Woche für viele Familien sehr anstrengend und sie wollten den Sonntag zum Entspannen nutzen. Da rücke bei vielen eben der Gedanke in den Hintergrund, die Messe zu besuchen. Es sei heute ein starke Entscheidung zu sagen: „Ich gehe mit meinem ganzen Kind und Kegel zur Messe.“ „Es braucht, glaube ich, Gemeinschaft, um den Glauben heute leben zu können“, war die Bemerkung einer Anwesenden. Ihre Enkelkinder zum Beispiel hätten die Gemeinschaft bei den Pfadfindern gefunden.

Auf die Frage, ob der Glaube früher einfacher war, fand man an diesem Nachmittag keine endgültige Antwort. „Es war sicher auch nicht einfach, in der ehemaligen DDR zu glauben. Ich weiß nicht, was einfacher ist“, schloss Gregor Kauling die Diskussion um die Frage.

Nicht dazu gekommen, das Kind zu taufen

Ein weiteres Thema des Nachmittags war die Entwicklung der Taufen. Oft führten in der heutigen Zeit die Lebensumstände der Menschen dazu, dass manche Kinder nicht mehr getauft werden. „Wir sind nicht dazu gekommen“, sei da die Aussage vieler Familien – Umzüge, Jobs und vieles mehr tragen ihren Teil dazu bei. In Kevelaer werden die Menschen auch heute meist noch als Säuglinge getauft, erklärte Kauling. In seiner alten Pfarrei sei das schon nicht mehr der Fall gewesen. Insgesamt stellte Kauling heraus, dass man sich vor allem zu einer Frage Gedanken machen müsse: „Wie führe ich Menschen in die Kirche/zur Taufe?“ – und das unabhängig von Institutionen wie der Schule oder dem Kindergarten.

Doch was ist mit den Menschen, die bereits den Weg zur Kirche gefunden haben, sich aber irgendwann in ihrem Leben wieder von dieser abwenden? Die Kirchenaustritte, so Kauling, nehmen zu. In St. Marien Kevelaer sei dies jedoch ein kleines Problem. In seiner früheren Pfarrei in Dinslaken sei das Problem hingegen gravierend gewesen. Die Beweggründe der Menschen für einen Kirchenaustritt seien verschieden, man könne sich jedoch nicht für jeden rechtfertigen. Die Frage, ob man ohne Kirche glauben kann, stand dann im Raum. Ein klares ‚Ja‘ oder ‚Nein‘ konnte keiner der Anwesenden als Antwort geben. Gregor Kauling aber fand die passenden Worte für seine Blickweise: „Ich glaube, dass ich nicht alleine glauben kann.“

Keine Toleranz und keine Rechtfertigung

Abschließend sprachen die Anwesenden über die Missbrauchsfälle in der Kirche und bekamen Gelegenheit, auch ihren Standpunkt im Zuge der Diskussion vorzustellen. Gregor Kauling machte an dieser Stelle noch einmal deutlich, dass vieles „vertuscht worden ist“ und dass die Verantwortlichen der Kirche Schuld eingestehen müssen. Solche Taten seien ein Skandal. Und dafür gebe es „0,0 Toleranz und keine Rechtfertigung.“ Pädophil veranlagte Männer hätten so im System Kirche Raum bekommen. Einige der Anwesenden machten ihrem Unmut über die Vorfälle an diesem Nachmittag Luft, bis die Gesprächsrunde nach knapp zwei Stunden beendet wurde, bevor das abschließende Thema in einer Grundsatzdiskussion ausarten konnte.

Alfred Plönes, zweiter Vorsitzender des KKV, bedankte sich abschließend für die „Offenheit und Klarheit“, mit der Gregor Kauling die Gesprächsrunde geleitet hatte, auch wenn er in diesen Tagen viele weitere Aufgaben und Gedanken hatte.