Die Einzige, die zählt

Wie vermittelt man den Menschen, denen es in einer Wohlstandsgesellschaft so gut geht, in Zeiten aufkeimenden Populismus und wachsender weltweiter Unfreiheit unter Diktaturen mit Hilfe der Musik den Gedanken von Freiheit in all seinen Facetten? Vor diese Aufgabe hatte sich in diesem Jahr der Theaterchor Niederrhein gestellt.
Dazu hatte er in gut einem Dreivierteljahr unter der Regie von Peter van Aar, Dorette Ploegmakers, der tatkräftigen Mitgestaltung von Chormitglied Theresa Kruse und dem Dirigat von Tom Löwenthal ein vielfältiges Programm aus Musical-Songs, Gospel, Pop, strengen Eisler-Melodien und afrikanischen Klängen auf die Beine gestellt.
Zweimal zweieinhalb Stunden Musik, Gedanken und Emotionen trugen dann ihren entscheidenden Teil dazu bei, dass dieses Unterfangen tatsächlich gelang – in beiden Fällen abzulesen an den Reaktionen eines begeisterten Publikums, das an beiden Tagen stehend Ovationen gab, aufrichtig emotional berührt und mitgenommen erschien.
Die Band um den Pianisten Wolfgang Czeranka sorgte für die angemessene musikalische Begleitung an beiden Abenden. Beim Bühnenbild hatten sich Regie und Chor etwas Besonderes einfallen lassen und mit weißen Wickelbändern eine Optik geschaffen, die wie bei einem 3 D-Bild die Illusion von Gitterstäben real werden ließen – plus der starken Farbchoreografie von Volker Meisel.
Und als einige der Männer zu den Klängen von Milvas „Liberta“ diese „Gitterstäbe“ einrissen und jubelten , wurde dem Publikum auf plastische Weise vor Augen geführt, wie sich Befreiung aus Gefangenschaft wohl anfühlt.
Schon der Einstieg in das Konzert sorgte für Gänsehaut, als die Chormitglieder zu dem Gospel „Oh freedom“ mit Augenbinden und Händen auf dem Rücken seitwärts die Bühne betraten, während Jutta Stammen inbrünstig die Freiheit des Unterdrückten beschwor – nicht der einzige starke Solistenbeitrag.
Danach fächerte der Chor die Facetten der Freiheit musikalisch auf – von der Freiheit, nach harter Arbeit zu Hause geborgen zu sein („A hard day´s night“), in der Liebe die Kontrolle zu verlieren („I´m so excited“) oder für die Freiheit als italienischer Partisan zu sterben („Bella ciao“). Oder es ging darum , sich von einer Liebe zu trennen („Run“) oder von dem anderen getragen zu werden („Wind beneath my wings“), versinnbildlicht durch schwebende Papierflieger. Dazu wurde in „Les Misérables“ die Befreiung des Menschen besungen. Und welches Symbol der Freiheit könnte stärker sein als die Freiheitsstatue, die Bärbel Rolfs inmitten der Bühne am Ende des ersten Teils zum „Lied der Moldau“ verkörperte.
Der Theaterchor hatte den Mittelstufenchor des Gymnasiums mit in das Programm eingebunden – und mit seinen Beiträgen „Learn to fly“ und „Breaking free“ bewiesen die Jugendlichen, dass Kevelaer einen guten Sangesnachwuchs mit modernem Anspruch hat.
In Teil zwei ging die musikalische Freiheits-Reise über die Freiheitshymne „Dry your tears, Africa“, dem Cat Stevens-Klassiker „If you want to sing out“ mit Melanie Cox, „Firework“ von Kate Perry, dem zarten „For good“ und dem prägnanten „Frei und schwerelos“ aus dem Musical „Wicked“ weiter.
Den Bereich Pop bildeten Nenas „Irgendwie, irgendwo, irgendwann“ und der Rock´n-Roll-Klassiker „Footloose“ ab. Gloria Gaynors „I will survive“ geriet zum starken kollektiven Bekenntnis für ein eigenständiges Leben.
Bei „Think“ von Aretha Franklin schrien Solistin Theresa Kruse und der Chor die „Freiheit“ förmlich nur so heraus. Und Fleedwood Macs „Go your own way“ unterstrich das Recht des Individuums, selbst die Richtung des eigenen Lebens zu bestimmen.
Für die berührendsten Momente am Ende sorgte Johannes Stammen mit seiner Interpretation des Westernhagen-Klassikers „Freiheit“ , die für kollektives Mitsingen sorgte, und die Schlussrede von Elie Wakeem.
Selbst aus Syrien geflüchtet, konnte er authentischer als jeder andere im Saal dazu aufrufen, für die Freiheit im Leben einzustehen und sich dabei nicht aufhalten zu lassen. Drei Sekunden innige Stille folgte seinen Worten nach – und anschließend brandete der Applaus im Publikum auf. Dazu passte Queens „Don´t stop me now“. Die Botschaft des Abends war angekommen.
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