Der Hüter der Basilika-Uhr

Mit bedächtigem Schritt führt Aloys de Witt in sein Wohnzimmer im Haus an der Egmontstraße 24. „Ich bin hier 1924 geboren“, sagt er und erläutert dann unvermittelt, wie es zu seinem Spitznamen „Atti“ gekommen ist: „Als ich drei Jahre alt war, hat mich jemand nach meinem Namen gefragt.“ „Ich heiße Atti“, lautete damals seine Antwort und das ist geblieben.
An die Weihnachtszeit als Kind erinnert er sich noch ganz gut: „An der Hand von Vater und Mutter ging es durch den Schnee zur Christmette in die Basilika. Es lag immer Schnee – und es gab immer Kartoffelsalat mit Würstchen.“
Mit Blick auf die kleine Standuhr, die an der Wand ihm gegenüber einen Ehrenplatz innehat, meint er: „Es wird sicher noch viele geben, deren Uhren ich repariert habe.“
Als Junge deutete eigentlich nicht viel darauf hin, dass er mal mit Zifferblättern und Uhrwerken hantieren würde. „Mein Vater war beim Finanzamt Krefeld, die Mutter Hausfrau – und mein Traum war Tierarzt.“ Mit 18 machte er sein Notabitur an der Gaesdonck, wurde zum Kriegsdienst einberufen. „1942 habe ich mitten im Orelbogen mit der Infanterie in Russland gelegen Da wurden Weihnachtsgeschenke vom Tross nach vorne gebracht“, erinnert er sich an diesen besonderen Moment. Noch Ende Januar 1945 erlitt er seine dritte Schusswunde, wobei seine Stimmbänder zerschossen wurden. „Deshalb klingt meine Stimme auch so“, erklärte der alte Mann fast entschuldigend.
De Witt kam als Soldat aus russischer Gefangenschaft nach Dresden, eine Dame stellte ihm Kleidung zur Verfügung. „Ich bin dann in Güterzügen heimlich bis nach Krefeld gefahren.“ Zuhause in Kevelaer fragte er nach, ob seine Eltern noch lebten. „Die wohnten über der Eisdiele am Kapellenplatz, weil ihr Haus teilweise zerbombt war. Der Vater kam mit dem Rad nach Stassen und ist mir um den Hals gefallen“, erinnert er sich noch an diesen Moment.
Aber ein Studienplatz für Tiermedizin war nicht zu bekommen. Der Vater riet ihm, dem Vorbild seines Onkels aus Goch zu folgen: „Lern doch Uhrmacher.“ In den Folgejahren machte er seinen Uhrmachermeister in Köln, ging alle vierzehn Tage ins Müngersdorfer Stadion zum Fußball, genoss Karneval.
„Da habe ich auch die Kölner Domuhr versorgt“, erzählt de Witt mit einem Lächeln. „Damals hatten die Uhren schwere Gewichte. Die musste man jeden Freitag aufziehen und dann lief sie acht Tage“, schildert er, wie er Anfang der 50er-Jahre dort eine verantwortungsvolle Aufgabe hatte. „Und der Kardinal von Köln kam dann auch mal in das große Schmuck- und Uhrengeschäft auf der Komödienstraße, wo ich war.“
In Düsseldorf machte er seine Prüfung und ging zunächst nach Rheinberg, wo ein altes Paar für sein Schmuck- und Uhrengeschäft an der Rheinstraße einen Meister suchte. „Wir hatten immer auf, auch sonntags und an Weihnachten.“ 1956 übernahm er den Betrieb, heiratete seine große Liebe Lieselotte zwei Jahre später und blieb mit ihr in Rheinberg bis 1967, wo seine vier Kinder geboren wurden.
Dann kehrte de Witt in seine Heimat und in sein Geburtshaus zurück, baute das seit 1823 dort ansässige Fachgeschäft Zanders für sich um und widmete sich mit seiner Frau weiter dem Verkauf von Uhren und Schmuck. „Und zu Weihnachten habe ich die Geschenke zu den Kunden gebracht, wenn sie mich darum gebeten haben. Die konnten sich darauf immer verlassen.“
Und er durfte die Kevelaerer Basilika-Uhr „versorgen“. „Der Bischof Janssen war damals Pastor und hat mich angesprochen. Die Uhr ist auch mit Gewichten gelaufen, war aber auch elektronisch“, erinnert er sich. In der Sakristei befand sich eine große Wanduhr. „Die Uhr an der Basilika wurde von der in der Sakristei geleitet.“
1987 starb seine Frau an Krebs. Ein paar Jahre später heiratete er seine zweite Frau Margot. 1994 übernahm Sohn Georg die Geschäftsleitung des Geschäftes. „Den hab ich auf die Uhrmacherschule in Süddeutschland geschickt, der war einfach ein Naturtalent“, zeigt de Witt sich glücklich, dass eines seiner vier Kinder seinen Weg weiterverfolgt. Das gab ihm die Möglichkeit, seinen vielfältigen Interessen – dem Kegelclub, dem Doppelkopfspielen, dem Sängerbund – nachzugehen.
Zu Weihnachten kaufte de Witt mehrfach Tannenbäume mit Wurzeln, um sie nach den Feiertagen in seinem großzügigen Garten einzupflanzen und wachsen zu sehen. Vor einigen Jahren ließ er sie dann fällen. „Weil der Garten immer zu dunkel war und ich die Basilika sehen wollte“, begründet Alois de Witt diesen Schritt. Der Baum seiner Frau nahe dem Haus, der ist aber stehengeblieben.
Das Fest fand für das Paar in diesem Jahr quasi schon am 17. Dezember statt. „Da sind wir mit 60 Leuten zusammen, da kommen die Kinder aus München, aus Lissabon, die Schwester mit ihren Söhnen. Und es gibt immer noch Kontakt der Neffen zu ihrem „Onkel Atti“, freuen sich der 92-Jährige und seine acht Jahre jüngere Partnerin über das besondere Zusammenkommen. „Für uns sind das auf alle Fälle vorgezogene Weihnachten.“