Der Heilige Geist wehte durch die Basilika
Der Heilige Geist wehte mit Macht durch die Basilika. Hans-Jürgen Kaiser, seines Zeichens Domorganist in Fulda und Professor für Orgelimprovisation in Mainz, hatte beinahe sein ganzes Konzertprogramm unter dem Thema „Veni creator spiritus“ zusammengestellt. Einzig die beiden ersten Stücke wichen von diesem Prinzip ab.
Zur Eröffnung hatte sich Kaiser einen ziemlich dicken Brocken auf das Notenpult gestellt, der gemeinhin eher am Ende eines Konzerts gespielt wird: Präludium und Fuge über B-A-C-H von Franz Liszt. Der Faszination, dass ausgerechnet die Figur, die auch in der Romantik als „Anfang und Ende aller Musik“ (Max Reger) galt, mit einem Namen gesegnet war, der sich perfekt als musikthematischer Baustein eignet, konnte sich auch Liszt nicht entziehen.
Die Komposition fällt in eine Phase, in der sich Liszt sowohl mit Bachs Schaffen auseinandersetzte, als auch mit dem Instrument Orgel – die 1856 uraufgeführte Komposition ist eng mit der ein Jahr zuvor fertiggestellten Merseburger Domorgel verbunden. Starke dynamische Kontraste, orchestrale Farbigkeit und pianistische Virtuosität bilden gewiss den gestalterischen Dreiklang, der jede Interpretation dieses Stückes ausmacht und dem von Natur aus auch die Gefahr der Übertreibung innewohnt.
Zweimal im Laufe des Konzerts zeigte Kaiser sein überragendes Können auf dem Gebiet der Orgelimprovisation. Gleich an zweiter Stelle des Programms stand eine Variationsfolge über „Segne du Maria“ – ein Lied, das mit seiner einfältigen Melodie jedem regelmäßigen Kevelaerer Kirchgänger spätestens am Ende des Sommers „aus den Ohren krümeln“ dürfte. Umso spannender war es zu verfolgen, wie Kaiser die Melodie von Variation zu Variation immer weiter verfremdete, fragmentierte und mit farbiger Harmonik in entlegene Regionen führte.
Von nun an wehte dem aufmerksamen Zuhörer mal plakativer und mal subtiler in jedem Stück der Heilige Geist durch die Ohren. In den beiden Versetten des Adam von Fulda und dem „Plain chant sur Veni creator“ von Nicolas de Grigny wäre dieses bei geschickterer Wahl und Ausbalancierung der Klangfarben noch besser hörbar gewesen. Auch die Feingliedrigkeit und der markante „Offbeat“ im ersten Teil von Bachs „Komm, Gott, Schöpfer, Heiliger Geist“ (BWV 667) hätte sowohl eine durchsichtigere Registrierung, als auch eine lichtere Artikulation verdient gehabt, um nicht im Klangbrei zu ersticken. Einen schönen „Dreisatz“ bildeten die letzten Stücke des Programms: Zwei französische Klassiker der Orgelliteratur rahmten eine Improvisation Kaisers ein.
Nur rund fünf Jahre liegen zwischen der Entstehung des finalen „Prélude, Adagio et Choral varié sur le thème du Veni creator“ (fertiggestellt 1930) von Maurice Duruflé und Olivier Messians Zyklus „La Nativité du Seigneur“ (Die Geburt des Herrn, komponiert 1935) aus dem der vorletzte Satz „Les Mages“ (Die Heiligen Drei Könige) zu Gehör kam. Dennoch wandeln beide Komponisten klanglich auf äußerst unterschiedlichen Pfaden. Bleibt Duruflé im Fahrwasser spätromantischer Harmonik und Stilistik, ist „La Nativité“ Messians erster großer Zyklus, in dem er die für ihn so typischen Skalen und fernöstlich inspirierte Rhythmen verwendet. Gerade die in „Les Mages“ angelegte hochkomplexe Dreischichtigkeit ließ sich in Kaisers Interpretation gut verfolgen – sofern man wusste, worauf man hören muss. Ein Faktum, das der „konstruierten“ Musik Messians nun einmal zu eigen ist. Dennoch hörte man auch ohne dieses Wissen, das die Prozession der Weisen einleitende „Veni creator“, konnte ihr stetiges dem Stern Zustreben verfolgen und schließlich ihr Niederknien vor dem Kind, im ätherischen Verklingen des Stückes.
Die an „Les Mages“ anschließende freitonale Improvisation Kaisers war dann auch gehöriger Kontrast zum magischen Verklingen des Vorangegangenen: Brausen, Feuerzungen, des Geistes Macht – der Heilige Geist ist eben keineswegs nur laues Lüftchen. Wie auch schon im ersten Programmteil erlebte man hier Kaiser ganz in seinem Element. Und eigentlich hätte man sich mehr davon gewünscht. In seinen Improvisationen wurde er als kreativer Musiker jedenfalls deutlich unmittelbarer erfahrbar, als in seinen zuweilen eher technischen Interpretationen.
Fulminantes Geistesbrausen
Nach diesem fulminanten Geistesbrausen wirkte der ohnehin recht brav daherkommende Duruflé noch etwas blasser als sonst schon. Duruflé am Beginn und Listz am Schluss wäre, trotz aller thematischer Erwägungen aus dramaturgischer Sicht die bessere Entscheidung gewesen. Allem Beckmessern zum Trotz waren es dicht gepackte 75 Minuten guter und abwechslungsreicher Musik, die von den etwa 80 Zuhörern zu Recht mit reichem Beifall goutiert wurden