Der große „Titus“ tritt ab

Als mich Hansgerd Kronenberg an der Haustür empfängt, ist er gerade noch mitten in einem Beratungsgespräch – eine geradezu charakteristische Situation für einen Mann, der fünf Jahrzehnte lang die Anlaufstelle für alle Belange des Winnekendonker Ortslebens und seiner Bürger war.

In seinem Büro nehme ich ein Trimmrad, die Urkunde über die Ehrenbürgerwürde an der Wand – und ein Schreiben mit dem Briefkopf Kevelaers wahr. „Die wollen mich zu einer Verabschiedung am 28. Oktober einladen“, klingt es, als sei ihm die viele Aufmerksamkeit eigentlich gar nicht so recht.

Sein zehnjähriger Enkel Kilian fegt an dem Schreibtisch vorbei, rennt zu seiner Großmutter – und Kronenberg pfeift ihn wortwörtlich zurück. „Bitte die Tür zu“, folgt der Enkel der Bitte seines Opas.

Auf der Flucht

„In dem Alter war ich gerade auf der Flucht“, erinnert sich Kronenberg an die Odyssee seiner Familie im Februar 1945 von Winnekendonk aus mit dem Fahrrad über Achterhoek und Sevelen, später mit einem Waggon per Zug von Hoerstgen aus bis nach Westfalen.
Die Flucht war wegen der Bombenangriffe nötig geworden, zwei Tage nach der Flucht wurde das Haus der Kronenbergs zerstört.

Zuvor hatte er noch eine durchaus „unbehelligte und unbeschwerte“ Kindheit erlebt, wo man als Sohn eines Lehrers erstmal Hausaufgaben erledigte, um dann mit vielen Spielkameraden auf der Straße herumzutoben, zu spielen, wo sogar noch Pferdekarren und Kutschen in dem weniger besiedelten Gebiet unterwegs waren und man von Soldaten zur Gulasch mit Rotkohl eingeladen wurde.

Als man dann immer wieder die Sirenen heulen hörte und in die Keller abtauchen musste, da „stumpfte man schon ab“, sagt Kronenberg. Das habe halt zum Leben dazugehört, die Flucht sei eine Notwendigkeit gewesen. „Man war damals zu klein, um die Folgen zu erkennen“, wird er an die Zeit der Jagdbomber erinnert, wenn er im Fernsehen die Bilder von Kriegsschauplätzen sieht.

Bis 1952 lebte die Familie auf einem Bauernhof, sein Vater war bis zu seinem 72. Lebensjahr Lehrer, starb drei Jahre später. „1968 war ich Festkettenträger für meinen Vater, das hat der Vorstand von Viktoria so entschieden.“ 2010 erhielt er seine zweite Festkette, dann eigenständig für seine Verdienste.

Plötzlich dringt ungewöhnliche Musik an unser Ohr. Die Nachbarin von Kronenberg wird 40 Jahre alt, und ihr zu Ehren ist ein Dudelsackspieler im Garten. Kronenberg tritt ans Fenster, gratuliert mit zusammengefalteten Händen und lächelt. Auch das ist ist Hansgerd Kronenberg – den Menschen zugewandt, immer eine Freundlichkeit parat.

Über seine jahrzehntelange Jugendarbeit erfolgte sein Einstieg in die Politik. Er wurde als Jugendobmann des SV Viktoria Winnekendonk in den Jugend-und Sportausschuss geschickt, wurde 1964 in den Gemeinderat gewählt.

Damals konnte er nicht ahnen, wie lange er der Politik erhalten bleiben sollte. „Damals war auch die OW1 schon mal Thema“, erinnert er sich. Ein „Dauerbrenner“ – so wie er.

Ein „Dauerbrenner“

Aber auch ein „Dauerbrenner“ muss mal Abschied nehmen. „Einige sagen jetzt, mach weiter. Andere werden später sagen, warum hat er das nicht schon früher getan. Man tut das nicht gerne“, gibt er unumwunden zu, „aber es gibt mehrere Gesichtspunkte.“

Da ist seine Frau Gertrud, der er in Zukunft mehr Aufmerksamkeit widmen möchte. Und: „Das Digitale ist nicht mein Ding. Im Alter entwächst man der jungen heutigen Generation“, sagt Kronenberg. Da brauche es jemanden, „der näher dran ist“, sagt der Mann ,der 30 Jahre lang als Vereins-Jugend-Obmann „nah dran“ war, ganze Schülergenerationen im Ort kennenlernte.

„Und man wird älter und kann nicht mehr so forsch bei der Sache sein“, meint ein 85-Jähriger, der bis heute mit der kommunalen Neuordnung von 1969 hadert und der sich heute bei dem Gedanken, dass Wetten bei der Förderung des Kunstrasenplatzes bevorzugt wurde, für seine Verhältnisse noch ganz schön „aufregen“ kann.

„Mit der Gleichbehandlung, das ist nicht so glücklich“, spricht er zwar von einer „demokratischen Entscheidung“ der Politik, betont aber zugleich, dass Winnekendonk „etwa doppelt soviel Einwohner und entsprechend Sportler“ wie jede andere Ortschaft in Kevelaer hat. Da kommt er wieder hervor, der leise, aber deutliche Streiter für die Interessen „seines“ Ortes.

Ein Mann, ein Baum: Hansgerd Kronenberg verlässt nach Jahrzehnten die vorderste politische Bühne. Foto: AF

Das alte Rathaus

Auf was er nach fünf Jahrzehnten Arbeit für Winnekendonk beispielhaft stolz ist? „Dass die zweite Niersbrücke mit der Durchschneidung von Schravelen verhindert wurde“, kommt recht schnell über seine Lippen. „Der Erhalt des alten Rathauses, wo selbst alte Winmekendonker überzeugt werden mussten“ – und das Haus schließlich unter Denkmalschutz kam.

Und natürlich die Begegnungsstätte Winnekendonk, die durch seinen guten Draht zum damaligen Grundstückseigentümer dazu gemacht werden konnte, was sie heute ist – und dass das nötige Geld für das Haus nach langem Hin und Her politisch mobilisiert werden konnte.

„Das Timing ist wichtig, das Ohr bei der und einen guten Draht zur Verwaltung zu haben“, das sei wichtig, wenn man politisch was bewegen wolle. Zuhören können, „wie die Leute gestrickt sind und darauf reagieren“, sei auch nicht unwichtig. „Ausgleichend sein, das bringt der Job mit sich.“

Dass er 2007 mal CDU-Fraktionsvorsitzender im Kevelaerer Rat gewesen sei, habe auch daran gelegen, „dass ich drauf geachtet habe, dass die Ortschaft angemessen vertreten werden kann“, sagt er. Dass die Partei damals in unruhigem Fahrwasser war und dringend eine ruhige Hand am Steuer brauchte, das sagt er nicht.

„Viel Geduld und nicht viel Gedöns machen, mit den Leuten sprechen“, sagt der schlaue Politikerfuchs, der bis heute auf die Bundes-Goldmedaille beim Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“ stolz ist: „Da läuteten die Glocken, und damals waren noch einige Kneipen offen. Da wurde gefeiert.“

Klar sei für ihn all die Jahre vor allem eins gewesen. „,Titus‘ ist nichts ohne die Bürger, die mitmachen.“ Das zeigte sich vor allem 1982 beim Jubiläumsfest der ersten urkundlichen Erwähnung des Ortes vor 700 Jahren – der bisher grössten gegeminsamen Feier in Winnekendonk.

Und zum Schluss des Gesprächs formuliert Kronenberg seine Wünsche für „sein“ Winnekendonk: „Die Fertigstellung der OW1 unter Berücksichtigung der natürlichen Gegebenheiten, dass eine angemessene Infrastruktur erhalten bleibt, dass die Dorfgemeinschaft der Vereine unter dem Dach der Geselligen Vereine weiterentwickelt und gefestigt wird. Damit Winnekendonk zusammen mit Achterhoek und Schravelen weiterhin die bezeichnung „Golddorf“ rechtfertigt.“  Und schließlich hofft er aktuell, dass baldmöglichst die Ausgleichsmaßnahme der Sportplatzverlagerung in gutem Einvernehmen mit Politk und Verwaltung durchgeführt wird.