Das erste Bild, das mir Wilfried Schotten zeigte, war keines aus Kevelaer. Es stammte von einem Friedhof in Little Marlow und zeigte das Grab von Edgar Wallace, der unweit in der Blind Lane im südenglischen Bourne End gelebt hatte. Diesem Foto sollten viele weitere folgen. Doch vom Archiv des Kevelaerers Wilfried Schotten, das viele historische Ansichten der Marienstadt umfasst, wusste ich damals noch nichts.

Wilfried Schotten war 2015 in die Redaktion des Kevelaerer Blattes gekommen, weil er von seiner Begegnung mit dem englischen Autor, dessen schmuckloses Grab er mir zum Einstieg zeigte, berichten wollte. Ein gehetzter Mensch versinkt mit angstverzerrtem Gesicht in einem Moor, in der Nähe eines unheimlichen Schlosses oder Herrenhauses gelegen, ein Käuzchen schreit einen letzten Gruß, eine dunkle Gestalt, oft in eine Mönchskutte gehüllt, beobachtet mit kalt glitzernden Augen das nebelumwogte Szenario… So ähnlich wurden in den 1960er Jahren in Deutschland die Kinogänger empfangen.

WiScho und Wallace

Die Wallace-Bücher und -Filme faszinierten den Kevelaerer, wie viele Bücherwürmer und Kinofans in dieser Zeit. Doch noch größer als die Neugier auf die Auflösung des jeweiligen Falles war bei „WiScho“, wie er sich in der Familientradition, die sein Vater „JoScho“ begründet hatte, abkürzte, jene Neugier auf das Leben des Mannes, der sich das alles ausgedacht hatte. Und so begab sich der pensionierte Lehrer auf Spurensuche und schrieb einen „biographischen Roman“ in drei Bänden über das Leben des englischen Schriftstellers. Das mit dem Roman begründete er so: „Wallace selbst hat mir vorgelebt, wie man sich verhält, wenn man bestimmte Dinge nicht in aller Genauigkeit recherchieren will oder – zu meiner Entlastung sei es beteuert – einfach nicht kann.“

Das passte in eine Zeit, in der landauf, landab die Tageszeitungen ihre Fortsetzungsromane einstellten, und das Kevelaerer Blatt es sich zur Aufgabe machte, ein Stück (Heimat-)Zeitungskultur in die Neuzeit zu retten. So druckte das Kävels Bläche ab dem 30. Juli 2015 den dritten Band dieser besonderen Biographie als Fortsetzungsroman. Ausgabe für Ausgabe, über ein Jahr lang. Zwischendrin brachte Wilfried Schotten immer wieder in Lesungen einem breiteren Publikum ,seinen‘ Wallace näher.

Doch je näher das unweigerliche Ende des Fortsetzungsromans rückte, desto mehr drängte die Frage nach einer Fortführung der Zusammenarbeit. Manchmal hatte „WiScho“ auf Einladung sein Dia-Archiv zu ,historischen‘ Abenden geöffnet und hatte seine ,Schätze‘ einem äußerst interessierten Publikum gezeigt. Und so entstand schließlich irgendwann die Idee, seine Erinnerungen und Fotos den Leserinnen und Lesern des Kevelaerer Blattes in einer Serie über die Straßen der Marienstadt zu zeigen. Damit wurde er endgültig zu einem „Bewahrer des alten Kevelaer“ im besten Sinne.

Dass er jahrelang die Kolumne „Der Busman“ in der Heimatzeitung buchstäblich federführend betreute, dass er mit seinem umfangreichen Sprachwissen und seiner Kenntnis des Ortes, der Ereignisse und der Menschen längst zum präzisen „Korrektor“ der Ausgaben geworden war, dass er sich liebevoll um das „Kävels Platt“ bemühte und dabei moderne Technik wie seine „alte Lötkiste“, wie er seinen etwas in die Jahre gekommenen Computer in einer Art Hassliebe nannte, nicht ausklammerte, alles das ließ ihn bis zu seinem unfassbar plötzlichen Tod vor wenigen Tagen zu einem „Kävelse Jung“ werden, den wir niemals vergessen können. Oder um es mit Theodor Bergman zu sagen: „Hier hört hän t‘hüß“.

WiScho und Platt

So wurde er auch im Projekt zum Erhalt unserer Heimatsprache, dem Online Wörterbuch „kaevels-platt.de“, ein wichtiger, akribischer und vor allem fleißiger Mitarbeiter. Zu Projektbeginn pflegte er mehr als 3.500 Vokabeln in eine Tabelle ein, aus der dann später das 2-dimensionale (platt-deutsch, deutsch-platt) Wörterbuch maschinell erstellt wurde. Ebenso war er Sparringspartner beim hinzufügen von „neuen Vokabeln“, um festzustellen, ob diese dem Kävels Platt entsprangen und ob die Schreibweise vermeintlich richtig ist. Auch half er mit, die ca. 3.700 Worte, Sprüche und Gedichte zu vertonen, um das Kävels Platt auch für die Zukunft noch hörbar zu archivieren.

Das alles zeichnet ihn auf besondere Weise aus. Unser letztes großes gemeinsames Projekt, die Veröffentlichung des ,Gaunerromans‘ mit dem Titel „Gradierwerk“, machte einmal mehr deutlich, wie verbunden er mit seiner Heimat Kevelaer war (www.kevelaerer-blatt.de/geschenke/).

WiScho und wir

Natürlich gibt es da auch noch die vielen persönlichen Momente in der Redaktion der Heimatzeitung, die Gespräche über die Menschen, die Familie, über Gott und die Welt und vor allem diesen Kosmos Kevelaer, die uns allen hier in Erinnerung bleiben werden. Immer hatte Wilfried Schotten ein offenes Ohr, in den meisten Fällen ein paar Fakten und immer eine begründete Meinung – und einmal sogar einen wunderbaren, von seiner Frau so selbstverständlich selbstgebackenen Kuchen dabei, als er mich an meinem Geburtstag in der Redaktion besuchte, dass mir vor lecker vollem Mund die Sprache wegblieb! Ich kann es nur so ausdrücken: Danke fürs Dasein!

„Ich habe fertig“, sagte „WiScho“ Woche für Woche, wenn er nach Durchsicht der Auffassung war, dass wir der Leserschaft die aktuelle Ausgabe so präsentieren könnten. Hochverehrter Herr Schotten, lieber Wilfried, Du hast fertig. Wir machen hier weiter, obwohl es uns ohne dich sehr schwer fällt. Wir denken, das ist in deinem Sinne.