Bischof Kräutler und die Kirche

Groß war das Interesse an den Ausführungen des Vorarlberger Bischofs Erwin Kräutler im Priesterhaus. „Wo geht es eigentlich hin“, umschrieb Andrea Spans vom Katholischen Bildungsforum Kleve die Kernfrage des Abends nach der „Zukunft der Kirche“. Nicht nur sie zeigte sich gespannt auf die „prophetische Standortbestimmung“ des langjährigen Bischofs der größten brasilianischen Territorial­prälatur Xingu. 52 Jahre lang hatte er in dem lateinamerikanischen Land gewirkt.
Zum Einstieg erwähnte Kräutler die Anekdote vom Treffen mit Papst Franziskus 2014, wo es um die Enzyklika für eine „humane Ökologie“ ging. Er wollte die indigenen Völker dort unbedingt berücksichtigt sehen. Franziskus gab ihm mit auf den Weg: „Die Bischöfe müssen mehr Mut haben.“ Das gelte frei nach seinem Buch „Habt Mut“ für alle Christen. „Wir müssen etwas wagen. Was morgen ist, liegt in Gottes Hand“, sagte der Mann, der seit elf Jahren unter Polizeischutz steht, selbst einem Attentat entkam und dessen Mitbruder sowie eine mit ihm arbeitende Schwester umgebracht wurden: „Weil ich mich für indigene Völker und als Anwalt der Armen einsetze und mein Kampf den Wasserkraftwerkern und Industriellen nicht gefallen hat.“ Den indigenen Völkern sei jahrzehntelang jedes Existenzrecht abgesprochen worden, selbst die Verbreitung der Sprache. Erst 1987 seien die Indianerrechte in die Verfassung aufgenommen worden, ein Erfolg der Kirche und der Menschen.
„Und bei den Großprojekten in Amazonien wurden die Menschen einfach vergessen“, kritisierte Kräutler, dass man die Menschen wie beim Bau des Wasserkraftwerks einfach einer Lösung zuführen“ würde.
Als einen „Denkanstoß“ für das „alte schöne“ Europa nannte Kräutler den Begriff „Basisgemeinde“ als Neuausrichtung der pastoralen Arbeit: „Nicht im Wolkenkuckucksheim, sondern mitten im Volk sein.“ Statt im Dom könne man auch mal in einem privaten Haushalt eine Messe halten.
„Die Menschen wollen, dass es besser wird“, lautete seine Botschaft. „Wir können sie nicht auf das Jenseits vertrösten. Wir müssen sie da abholen, wo sie sind und nicht ihnen sagen, was sie tun und lassen sollen, sondern fragen, wo sie sind und was ihre Sorgen und Nöte sind.“ Über Jesus sei Gott auch mitten unter den Menschen als „befreiender Gott“ gekommen.
Solche Gemeinschaften entstünden oft in kleinen Gemeinden, berichtete er von den Erfahrungen seiner Arbeit in Brasilien. Dort seien die Gemeinden aus dem Boden geschossen: „Von 800 Gemeinden werden zwei Drittel von Frauen geleitet.“ Was ein Gegenpart zu dem „machosmo“-Bild Lateinamerikas sei.
Vier Elemente
Als erstes der vier Kernelemente der „Basisgemeinde“ nannte Kräutler die „samaritische Dimension“. Im Kern meinte er das Zugehen auf alle Menschen. Das machte er plastisch, als er auf eine Zuhörerin zuging und ihr die Hand schüttelte.
Das zweite sei die „prophetische Dimension“. Dies seien das Armmachen und der Raub der Identität der Indios durch den Kapitalismus: „Die größte Armut ist die, nicht sein zu dürfen.“
Als dritte nannte er die „familiäre Dimension“, wo „Kirche im kleinen Kreis lebt. Jedes weiß, wie das Nachbars­töchterchen heißt. Hier kennt man sich.“ Priester verlassen den Rahmen des Presbyteriums auch mal: „Ich gehe die Kathedrale immer durch bis zum Schluss, sonst fragen sich die Menschen, ob ich krank bin.“
Und als vierte nannte er die „Kontemplative Dimension“, die Mystik des Evangeliums, das Gebet: „Wir sind keine Gemeinde, wenn wir diesen persönlichen Moment nicht verteidigen.“
Nach dem Vortrag konnten die Gäste noch Fragen stellen. Zumeist wurden es Statements, wo sich die Gläubigen Luft verschafften. Die strukturelle Enteignung der Gemeinden durch Klerikalismus wurde ebenso angesprochen wie die Zusammenlegung der Gemeinden, das Desinteresse der Jugend an Glauben oder die mangelnde Wahrhaftigkeit in der Kirche. „Lassen Sie uns nicht entmutigen“, sagte der Bischof. Die Zeiten, da der Pfarrer von oben herab auf die Gemeinde herunterwetterte, seien vorbei. „Wir können uns nicht aufdrängen, aber überzeugen, im kleinen Kreis, nicht bei dem großen Event.“
Kirche müssen ansteckend werden, die Sinnkrise komme bei jedem Menschen irgendwann. Und es bleibe immer etwas hängen, selbst wenn Menschen nur zu Weihnachten in der Kirche auftauchen.
Möchte Kräutler bei den Strukturen in Deutschland denn hier Bischof sein? „Ich wäre hier nie Bischof geworden“, gab er einen kleinen Einblick, wie er bei aller Hofffnung die Situation der katholischen Kirche in Deutschland einschätzte.