Bei Neurotox sitzt ein Kevelaerer am Schlagzeug

Mike Püllen ist nicht nur Autolackierer , sondern auch Drummer der Niederrhein-Punkrockband „Neurotox“. Das Quartett ist mit seiner aktuellen Platte erstmals in den Top 100 der Album-Charts gelandet.

Püllen und der Bassist Mario Welter, der jetzt in Straelen lebt, kannten sich schon, da war der Kevelaerer noch nicht Mitglied von Neurotox. „Ich kannte seinen Vater ganz gut, der ging mir mit dem Satz ‚Mein Sohn spielt Schlagzeug‘ auf den Senkel“, erinnert sich Welter. „Sein Elternhaus war 50 Meter von mir weg. Er saß neben mir im Schulbus. Ich fuhr und er war das Schulkind.“ Der Busfahrer ist heute Busunternehmer, Püllen ein Autolackierer und beide verbindet die Leidenschaft für Musik und die gemeinsame Band.

2012 wurde Welter von einer Rheinberger Band „reingeholt“, in der sich nach und nach personelle Veränderungen ergaben. Gitarrist Marius Stark aus Hamminkeln, mit dem Welter erst Heavy Metal spielte und später “aus Jux“ Deutschrock coverte, und der Gindericher Sänger Benjamin Götzken stießen dazu. Der Kern von „Neurotox“ war zusammen.

Es fehlte nur noch ein fähiger Schlagzeuger. Die ersten beiden Drummer blieben nicht lange. 2015 traf Welter zufällig Mike Püllen bei einer Fahrt nach Frankfurt an der Raststätte Medenbach. „Hey , ich bin der Mike und spiele Schlagzeug“, sagte der heute 30-Jährige selbstbewusst. Welter erinnerte sich an den jungen Mann aus früheren Zeiten. Und die Begegnung blieb Welter im Gedächtnis, als der Schlagzeuger, den er Püllen vorgezogen hatte, ausstieg: „Ich hab Mike zehn Sekunden später angerufen.“

Der hatte bis dahin nur mit dem Vater gespielt, war mit einem DJ live aufgetreten. „Die Band hatte ich ja auf dem Schirm“, sagt er heute. Er musste nicht lange überlegen. „Da hatte ich Bock drauf.“ Und so wurde Püllen im Januar 2018 Mitglied der Band „Neurotox“.

Es gebe keine Band, wo ein Mitglied so schnell von den Fans angenommen worden sei, sagt Mario Welter. „Er war das Mosaikstück, das noch gefehlt hat.“ Einen Monat nach dem Einstieg sollte der Neuling gleich ein Set mit 16 Songs live performen. „Wenn Fehler passieren, dann ist er Schuld“, gab der Bassist vorher dem Publikum preis. Das hatte einen dreifachen Schlachtruf für den Drummer parat. Danach war das Eis zu den Fans gebrochen. „Das hat so eingeschlagen – es gab ‚Wir lieben Dich, Mike‘ T-Shirts“, einnert sich Mario Welter.

Von der ersten Probe an habe die Chemie gepast. „Das ist wie ein Kegelclub, man blödelt , hat viel Spaß und die Leute merken das“, sagt Mike Püllen nicht ohne Stolz. Für die Songs ist Gitarrist Marius verantwortlich zu „Themen, die uns bewegen“, sagt Welter. Das geschieht manchmal auch auf „Zuruf“ von Seiten der Kollegen. „Ich wollte mal einen Song, wo die Zeile ‚Scheißegal – Mutti hat mich trotzdem immer lieb‘ auftaucht“, erzählt Püllen. Der Wunsch erfüllte sich. „Wir sind keine Witzkapelle, aber eine mit Humor“, ergänzt Welter.

Dass man sie mit Bands wie den Toten Hosen oder den Ärzten vergleicht, ist der Band nicht unrecht. „Wir haben uns aber nie in einer Schublade gesehen“, sagt Mario Welter. Deutschrock sei es auf jeden Fall. Man klinge aber schon „eine gute Schippe härter und schneller“, auch wenn es langsame Songs gebe.

Für die Vier ging es auf Touren durch Deutschand, Österreich, der Schweiz. „Es gibt „tolle Leute in der Szene, viel Toleranz und Fans, die der Band auf ihren Konzerten nachreisen”, sagen beide übereinstimmend.

2019 eröffneten sie das Natzer Alpenflair-Festival in Südtirol. Auf einer Nebenbühne standen gut 2.500 Menschen vor ihnen. “Mir war das Ausmaß nicht bewusst“, denkt Püllen gerne daran zurück. Gemeinsam mit Bands wie „Kärbholz“ zu so einem Festival zu fahren und Musik zu machen, das sei für ihn „wie Urlaub. Und dafür kriegst Du auch noch Geld.“

Autokino-Konzerte

2020 präsentierte sich die Band wegen Corona verstärkt im Netz und organisierte mit „Kärbholz“ diverse Challenges. „Wir haben mit deren Manager dann mal geredet: „Was hälst Du von Autokino?“ Der lachte erst, dann meinte er: „Keine schlechte Idee.“ Und so spielte das Quartett mit „Kärbholz“ vier Autokino-Konzerte in Karlsruhe, Hamburg-Effzeh und Meinerzhagen. Und den September nutzte man für eine Mini-Clubtour.

Aktuell hat die Band mit „Egal was kommt“ ihr viertes Album draußen. Eigentlich sollte es schon letzten Sommer rauskommen. „Auf der Platte geht es quasi komplett um Corona“, sagt Bassist Welter. Die Botschaft der Band: „Wir machen weiter“ und „Diese Platte soll ein Mutmacher sein.“

Dazu laden Songs ein wie „Auf all meinen Wegen“, der Favorit von Mike Püllen oder auch „Nächte auf Scherben“, der davon berichtet, was man alles in den letzten Jahren erlebt hat. Die Platte fasse die Band „so zusammen wie wir sind“, sind sich beide Musiker einig.
Vielleicht ist es dieser besondere Spirit, der die Band mit der Platte kurzfristig auf Platz 87 der Album-Charts gebracht hat: als ersten kleinen kommerziellen Lohn vielleicht für die Investition in selbst prodizierte Videos – und fürs Dranbleiben.

„Das ist nett, weil man ja nicht mit der Aussage Richtung Charts marschiert“, meint Welter. Zumal man 200 CDS für treue Fans vorab aus dem Verkauf herausgenommen und als Sonder-Fanbox mit T-Shirts, Fotobuch und weitere Accessoires per Post versandt hat. „Als die Plattenfirma angerufen hat, haben wir uns schon gefreut wie kleine Kinder“, gibt Püllen freimütig zu.

Ob sie sich 2021 aber ihren größten Wunsch erfüllen können, wird man sehen. „Einfach mal wieder vor Menschen spiele – ob vor zehn , vor hundert oder vor tausend. Es ist wichtig, wieder nahbar zu sein. Und wir wollen uns bedanken“, sagt der Kevelaerer Drummer. Sein Bandkollege formuliert es direkter: „Ich will wieder schwitzen mit den Kumpels, ein bisschen einen im Tee haben bei 35 Grad und ein echtes Punkrock-Konzert erleben.“