Auch mit nur einem Arm ist alles machbar

Mit einem Lächeln öffnet Anika Lindemans mit der linken Hand die Haustür: „Hallo.“ Sie verweist auf die beiden Hunde des Hauses, die auf ihren Gesprächsgast zugelaufen kommen. „Was zu trinken?“, schenkt sie behende ein Glas Wasser ein.
Anika Lindemans hat nur einen  Arm. An der rechten Seite existiert lediglich ein Stumpf und das bereits ihr ganzes Leben: „Ich war ein Frühchen und bin drei Monate zu früh geboren.“ Der Arm wurde ihr kurz  nach der Geburt abgenommen. Für die 18-jährige Fachabiturientin anscheinend kein großes Handicap: „Das war immer ganz normal für mich. Es ist schon etwas anderes, als wenn man ihn durch einen Verkehrsunfall verlöre.“
Die Reaktionen in ihrer Schulzeit bewertet Anika positiv. Kam mal ein blöder Spruch, was selten der Fall war, habe sie den ignoriert. „Die Kinder im Kindergarten haben gesagt, das wächst wieder nach. Denen ist es egal, ob du ein Bein ab hast, helle oder dunkle Haare. Die nehmen dich, wie du bist.“
Ähnliches erlebt sie heute im ersten Jahr ihrer Erzieherinnen-Ausbildung im Marien-Kindergarten. „Da kam ein Kind mit körperlicher Einschränkung zu mir hin und fragte mich, was das ist. Ich sagte ihm, ich habe nur einen Arm und es sagte später: ‘Cool‘.“
Wichtig für den selbstbewussten Umgang mit einem Arm zu leben, war der Umgang, den ihre Eltern mit ihr pflegten. „Die haben mich nicht in Watte gepackt, sondern mich alles machen lassen. Dass mir ein Arm fehlt, schränkt mich in keinster Weise ein.“
Entsprechend nutzt sie den Stumpf im Alltag ganz selbstverständlich mit, wie sie beim Öffnen einer Wasserflasche demonstriert: „Ich bin, wie ich bin , und verstecke mich nicht. Meine Eltern haben es mir nicht anders beigebracht.“
Beim Karneval sei sie von klein auf immer dabei gewesen, zumal der Vater bei den Swingenden Doppelzentnern musikalisch mitmischt und die ganze Familie karnevals­affin ist. „Es gab mal eine Phase zwischen 14 und 15, da hatte ich  weniger Lust, machte mehr mit Freunden. Aber vor zwei Jahren habe ich es wiederentdeckt.“ Da die ganze Familie gerne Karneval feiert, trat sie im letzten März geschlossen in den AGK Achterhoek ein: „Wir kannten schon welche aus dem Verein.“ Da Anika bereits früher bei einer Tanzschule aktiv war, trat sich auch gleich  mit ihrer 16-jährigen Schwester Vanessa der Achterhoeker Showtanzgruppe bei. Monatelang feilte das Team an der Choreographie, an dem Tanz und an der Inszenierung des „Märchens aus 1001 Nacht“, in der sie die Rolle der „Prinzessin Yasmin“ übernahm. „Ich finde den Verein einfach toll, auch die Mädels, das schweißt total zusammen“, freut sich Anika, dass alle auf das schauen würden, was sie beitragen könne und  nicht auf das, was ihr fehle. Sie mache die Schritte, die die anderen auch vollziehen.
Kurz darüber nachgedacht, wie es sein würde, in der ersten Reihe mit zu tanzen, hatte sie schon. Aber die Skrupel wären gleich beim dem ersten Auftritt verflogen.  „Da überlege ich nicht mehr, ob ich vorne oder hinten stehe. Und wir haben Positionswechsel gemacht“, erinnert sie sich. Der Applaus und der Beifall für die Darbietung habe die gesamte Gruppe in ihrer Arbeit bestätigt.
Dass sie von den Mädels und dem Verein so gut aufgenommen und akzeptiert worden sei, freue sie schon. Das gemeinsame Tanzen mache sie „total glücklich“, die Auftritte wie bei der Kappensitzung in Achterhoek seien „ein tolles Erlebnis“ gewesen. Da seien Leute auf sie zugekommen, um zu sagen: „Toll, dass du dir das zutraust.“
Am Samstag, 11. Februar, ist die Showtanzgruppe auf der Kevelaerer Jakobussitzung dabei. Am 17. Februar tritt sie in Geldern-Kapellen auf. In den nächsten Jahren will sie weiterhin in der Truppe engagiert mitwirken. Vielleicht könne sie mit ihrem Beispiel ja sogar „andere ermutigen, die denken, die macht das gerne, egal, ob da was fehlt oder nicht.“