Tanzen für den Frieden – geht das? Ergibt das Sinn? Und kann es gelingen, Menschen, die sich unter Lebensgefahr in kleinen Booten übers Mittelmeer auf den Weg nach Europa gemacht haben und im Flüchtlingscamp auf der Mittelmeerinsel Lesbos anlandeten, die nichts besitzen als schreckliche Erinnerungen, kann es gelingen, diese Menschen zu einem Tanzprojekt zu motivieren?
Es geht – und es geht nicht nur, es sei auch notwendig, sagt Helge Burggrabe. „Und es ist eine wunderbare Chance, mit der universellen Sprache und Kraft der Musik viele eindeutige und kraftvolle Zeichen für mehr Menschlichkeit und ein friedliches Zusammenleben über alle Grenzen hinweg zu setzen.“
Helge Burggrabe (Jahrgang 1973, Baden-Württemberger) ist Komponist, Musiker, Friedensdenker und war schon einige Male mit seinen Hagios-Friedenskonzerten am Niederrhein – auf Initiative der in Kevelaer beheimateten Aktion pro Humanität (APH).
Der Niederrhein hat vermittelt
Seit Jahren schon hilft die APH auch auf Lesbos, unterstützt ihren Projektpartner Michael Aivaliotis von „Stand by me Lesvos“ mit Spenden, u. a. für Lebensmittel, warme Kleidung, Medikamente und Ausstattung für die kleine Campschule. Und nun ist über diesen Niederrheinkontakt eine ungewöhnliche Kunstaktion realisiert worden – mit dem Projekt „HUMAN“ von Helge Burggrabe, das mit Kunst, Musik und Theater vielfältige, kraftvolle und kreative Akzente für mehr Menschlichkeit setzen will – überall auf der Welt: Community Dance – unabhängig von Vorkenntnissen im Tanz, von Alter, Traditionen und Lebensstilen, von nationaler, kultureller oder religiöser Zugehörigkeit – soll dazu einladen, die Grundthemen des Menschseins gemeinsam zu erfahren und im doppelten Wortsinn Sinne zu bewegen.
Gewinnen konnten die „HUMAN“-Initiatoren für das Lesbos-Projekt die in den Niederlanden lebende Tanzpädagogin und Choreographin Nanni Kloke und den großen Meister des Community Dance, den heute über 80 Jahre alten Royston Maldoom.
Und so machte sich nun nach Vermittlung der APH-Teams vom Niederrhein ein Choreographen-Team auf den Weg nach Lesbos.
„In der ersten Woche kamen zu fast jeder Probe andere Menschen. Es waren,“ so Nanni Kloke, „hauptsächlich junge Männer zwischen 18 und 21 Jahren. Sie kamen aus dem Sudan oder aus Syrien, sie hatten einen langen, gefährlichen Weg hinter sich und viele Dinge gesehen, wovon wir uns keine Vorstellung machen können. Einige von ihnen hatten während dieser ‚Reise‘ die Verantwortung für noch jüngere Geschwister auf sich genommen.
Mutige, traumatisierte, zerbrechliche Menschen, die am ersten Tag mit gebogenem Kopf, versteckt in einer Kapuze, mit dumpfen Augen und etwas ängstlich das Studio betraten.“ Alles andere als entspanntes kulturarbeiten. „Zudem wurden einige, die mit Begeisterung in den ersten Tagen dabei waren, ‘auf Transport gesetzt’, sodass sie die Insel verlassen mussten.“
Umso überraschender war es dann für alle, zu erleben, wie sich – durch die Freude an der Musik und des Miteinander-Bewegens, durch die intensiven Gespräche und gemeinsamen Mahlzeiten – eine „Tanzfamilie“ bildete, die eine eindringliche Communtiy Dance-Aufführung auf die Bühne des örtlichen Theaters brachte. Das Publikum war begeistert, es feierte die Mitwirkenden mit Standing Ovations und langanhaltendem Applaus.
Es passierte etwas Magisches
Und Michael Aivaliotis, der Mann an der Spitze von „Stand by me Lesvos“, war völlig überrascht: „Um ehrlich zu sein, habe ich mir bis zur letzten Minute große Sorgen gemacht, dass alles und jeden Moment doch noch etwas schief gehen würde. Aber das passierte nicht, sondern auf der Bühne passierte etwas Magisches, das für das Publikum verblüffend war. Ich habe vor der Aufführung geglaubt, dass zu den Grundbedürfnissen nur Bildung hinzukommt. Ich habe mich geirrt. Diese Menschen brauchen Kunst, weil sie ihnen hilft, zu kommunizieren, ihre Probleme zu vergessen und einen Hauch von Normalität zu entwickeln.“ So planen Michael Aivaliotis und Nanni Kloke ein weiteres Tanzprojekt in diesem Jahr.
Das Team am Niederrhein freut sich mit: „Da vor allem die jungen Menschen nach ihren Erlebnissen auf der Flucht nicht nur ein Dach über dem Kopf, keine Gewalt, ausreichend zu essen und zu trinken benötigen, sondern vielleicht auch wirklich einen Lichtblick für ihre Seelen, hat uns das Angebot von
„HUMAN“ zu diesem internationalen, interkulturellen, interreligiösen Tanz-Workshop riesig gefreut“, so APH-Vorsitzende Dr. Elke Kleuren-Schryvers. Durch Spenden an „musica innova e.V.“, Projektträger des „HUMAN“ International Culture Project, und an die „Art for Peace Foundation“ (Gründerin Nanni Kloke) wurden alle Kosten getragen.