Amüsantes Patchwork-Strickmuster

Dem Kevelaerer Kulturbüro beschert der Mann regelmäßig ein volles Bühnenhaus, da war es an der Zeit, sich auch mal persönlich angemessen zu bedanken: Eine Geburtstagstorte nahm René Heinersdorff am Montagabend entgegen – nachträglich zu seinem Irgendwas-Mitte-50-Geburtstag am Sonntag zuvor, nachträglich zum exakt 25-jährigen Bestehen seines Theaters an der Kö in Düsseldorf in diesem Jahr und irgendwie auch nachträglich zu satten zwei Stunden bestem Boulevard-Theater. Die hatte der Autor und Schauspieler nämlich zuvor den Kevelaerern beschert.

Heinersdorff ist einer der meistgespielten zeitgenössischen Autoren des Genres. Er inszeniert und spielt gern selbst und gut. Da darf man ihn wohl, und das ganz ohne negative Hintergedanken, als gekonnten Selbstdarsteller bezeichnen. Denn viele seiner Stücke haben irgendwie auch mit Selbsterlebtem zu tun. In „Komplexe Väter“ trifft er als Therapeut, der eine Beziehung mit einer halb so alten, ehemaligen Patientin unterhält, auf ihre beiden Väter: Der eine hat sie gezeugt, der andere großgezogen, und die Mutter möchte daraus nun eine funktionierende Patchwork-Familie stricken.

Das erfolgreiche Strickmuster des Stücks: Vorhandene Befindlichkeiten werden geschickt mit neuen Abneigungen verwoben – und natürlich weiß das Publikum immer alles ein bisschen eher und besser als die Charaktere im Stück. Patchwork also auch hier.
Selbstverständlich haben die drei Elternteile mit ihrer Dreiecksgeschichte genug zu tun. Natürlich ist der neue Schwiegersohn in spe viel zu alt. Und Kinder bleiben für ihre Eltern sowieso ihr Leben lang Kinder…

Busse und Balder kommen ins Spiel

Das sind alles durchaus hochdramatische Konflikte, die da aufblitzen, die für stundenlange Klassiker taugen, und die auch hier mit einer gehörigen Portion Ernst vorgestellt werden. Und doch wäre Heinersdorff nicht er selbst, würde er nicht die beiden Hauptrollen mit holzschnittartigen Vätern besetzen – und mit Jochen Busse und Hugo Egon Balder noch dazu mit zwei Selbstdarstellern, denen die Rollen auf den Leib geschrieben scheinen und wie sie kantiger und gegensätzlicher kaum sein können. Patchwork…

Busse macht das, was er immer macht, wenn er vor Publikum agiert: Er zieht den Kopf mit der scharf gescheitelten Frisur um einige Zentimeter zurück, schaut verständnislos aus der Wäsche und stellt dann die momentan dämlichst-mögliche Frage. Oder er nimmt Anlauf und prescht, das kantige Kinn voran, die Zähne zum dumm-dreist verklärten Lächeln gefletscht, in Richtung nächstes Fettnäpfchen.

Mutter und Tochter

Balder pflegt weiter den abgeklärt abwinkenden Alleswisserabernichtskönner mit den schlaff herabhängenden Schultern. Und wie immer sieht er immer so aus, als träte er gerade nach einer durchgemachten Nacht aus der Drehtür einer Kneipe und schüttele sich Sex und Drugs und Rock‘n‘Roll aus dem Haar.

Dass diese beiden sich gegenseitig die Gags nur so vor die Füße und an den Kopf werfen, verdanken sie Autor Heinersdorff, der die Rolle des immer wieder dazwischenfunkenden Therapeuten ebenfalls herrlich holzschnittartig angelegt hat, und so eine Mischung aus Slapstick und Sinnkrisen konstruiert, die in jeder Situation mit einer Komik, der man nicht ausweichen kann, einen Ausweg schafft.

Mutter und Tochter (Alexandra von Schwerin und Katarina Schmidt) sind in dieser Gemengelage übrigens erfreulicher Weise mehr als die Wasserträgerinnen, die man zunächst vermuten könnte. Sie zeigen ihre Figuren dank hervorragender Schauspielkunst ebenso facettenreich wie natürlich.

Die Auswärts-Premiere zeigte am Montagabend im rappelvollen Kevelaerer Bühnenhaus, dass das amüsante Stück Boulevard auch außerhalb bewährter Komöden-Mauern funktioniert. Stehende Ovationen für eine gelungene Ensembleleistung.

Am 29. Oktober ist im Theater- und Bühnenhaus das nächste Stück zu sehen: Chaos auf Schloss Haversham vom Tourneetheater Thespiskarren.