American Beauty
Die „kulturpolitische“ Botschaft gleich vorweg: Allen tatsächlichen Schwunderscheinungen und den diese begleitenden Kassandrarufen zum Trotz, das künstlerisch anspruchsvolle und engagierte Laienchorwesen lebt und hat auch Zukunft.
Sich davon ein Bild zu machen, hatte man am Freitagabend, 8. Juni, in der mit etwa 70 Zuhörern gut besuchten Clemenskirche die Möglichkeit. Der noch recht junge, erst 2016 in Kempen gegründete Kammerchor „Libera Voce“ hatte unter der Leitung von David Nethen ein Programm ausschließlich amerikanischer Komponisten unter dem Titel „American Songs“ in der Notenmappe.
Hauptwerk des Abends war der zweiteilige Liederzyklus „Old American Songs“ von Aaron Copland (1900–1990), in einer Fassung für gemischten Chor und Klavier, den er zwischen 1950 und 1952 komponierte. In Deutschland weniger bekannt, ist Coplands Bedeutung für die amerikanische Musik der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht zu unterschätzen, die er als Komponist und Lehrer maßgeblich prägte. Zeitlebens bewegte er sich musikalisch in einem Spannungsfeld aus farbig-großflächiger Harmonik spätromantischer Prägung und einem kleinteilig-schroffen Neoklassizismus. Diese Gegensätze prägen auch die zehn kurzweiligen, auf Volksliedern basierenden Kompositionen der „Old American Songs“.
Der Chor eröffnete in einer die Weite des Raumes der Clemenskirche ausnutzenden runden Aufstellung mit „The Boatmen’s Dance“ – Tanz der Schiffer – und legte sich damit selbst die Messlatte in ausgesprochen anspruchsvolle Höhe. Die beinahe nachhallfreie und wenig tragende Akustik beförderte einerseits eine gute Durchhörbarkeit, legte im Gegenzug aber auch die kleinste Schwäche gnadenlos offen. Die spannungsreichen Wechsel aus ungestümem Solopart und Chorpassagen kamen gut zur Geltung, wenn auch die Homogenität unter der weiten Verteilung der Stimmgruppen und des begleitenden Klaviers zuweilen etwas gelitten hat.
Fortgesetzt wurde das Programm in klassisch frontaler Choraufstellung, was Sängern und Zuhörern gleichermaßen zugutekam. Im stimmgewaltig-markanten „The Dodger“ – Der Gauner – entwickelte der Chor dann auch gleich eine ganz andere Strahlkraft und Geschlossenheit.
Symbiose aus Chor
und Publikum
Die so wunderschönen Momente der Symbiose aus Chor und Publikum stellte sich im von Vokalität und langen Spannungsbögen geprägten „Long Time Ago“ – Vor langer Zeit – ebenso ein, wie im erfrischend naiven „Ching-a-Ring-Chaw“, das mit seinen rhythmischen Akzenten nicht nur den Chor in Bewegung versetzte.
Einen zweiten Block bildeten die „Three Nocturnes“ von Daniel Elder, ein 1986 geborener und in den USA lebender Komponist. Thematisch ging es um Erscheinungen der Nacht: Ein einzelner Stern am Nachthimmel, eine Ballade an den Mond, ein Schlummerlied – tonsprachlich war es denn tatsächlich auch nichts Neues unter der Sonne, sondern kompositorisch vielmehr ein weiterer Aufguss des ungemein eingängigen und beliebten Stils anglo-amerikanischer Chormusik der Nachkriegszeit. Der Chor liebt das Bad im Klang, das Publikum liebt die einhüllende Wärme und so hätte man die sprichwörtliche Stecknadel fallen hören können.
Für die Schlussnummer verteilte sich der Chor wieder im Rund um die Zuhörerschaft und brachte „Sleep“ von Eric Whitacre (*1970) zu Gehör. Die beinahe transzendenten Klangflächen und fein gesponnenen Melodiefäden kamen hier durch die Aufstellung bestens zur Geltung und verfehlten ihre Wirkung nicht. Eine ungemein effektvolle und ausbalancierte Komposition, die im wahrsten Sinne des Wortes den Abend ausklingen ließ.
Stille wäre eigentlich die angemessene Konsequenz auf „Sleep“ gewesen. Allerdings war die Begeisterung des Publikums verständlicherweise eine große und so setzte (gefühlt einen Moment zu früh) großer Applaus ein. Dank erging an den Leiter des Chors, David Nethen, selbst gebürtiger Amerikaner, der sich spürbar mit diesem Programm „zu Hause“ fühlte. Ina Otte begleitete den Chor am Klavier in perfekter Art und Weise. Der technisch und künstlerisch anspruchsvolle Klavierpart im Copland ist wahrhaft kein Spaziergang.
Das Publikum erlebte einen jungen, motivierten Chor, auf dessen nächste Projekte man ebenso gespannt sein darf wie auf dessen weitere stimmliche Entwicklung. In Puncto Intonationssicherheit und klangfarblicher Breite spürt man beim Chor und seinem Leiter gleichermaßen das Streben nach dem Besten, wenn auch bei der Einlösung dieses Anspruchs noch Potential erkennbar ist. Der eingeschlagene Weg aus thematisch gut durchdachtem Programm, in Verbindung mit künstlerischem und technischem Anspruch, ist in jedem Fall einer, der die Begeisterung am Chorgesang lebendig hält, und an dem (hörend) teilzuhaben auch zukünftig eine Freude sein wird.