Der Busman
Altweibersommer
Jetzt ist es wieder so weit, Mechel, der Herbst ist da.
In den letzten Tagen kommt mir immer wieder ein Gedicht von Rainer Maria Rilke in den Sinn: „Herbsttag“. Der Anfang geht so: „Herr, es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß. Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren, und auf den Fluren laß die Winde los.“
Na, ja, der Sommer war eher so durchwachsen, würdest du sagen, jedenfalls war ich froh, dass ich diesmal nicht den Schlauch rausholen musste, um den Garten zu bewässern.
Ich weiß ja, dass es dir gar nicht gefällt, dass die Sonnenuhren kaum noch die Zeit anzeigen, weil nun die graue Periode beginnt, die deiner pessimistischen Vorhersage mindestens die nächsten sechs Monate anhalten wird.
Gott sei Dank schreibt Rilke nur: „Laß die Winde los.“
Winde, die gehören zur Jahreszeit dazu, aber auf Tornados und Orkane kann ich gerne verzichten. Die armen Menschen, die davon betroffen sind, können mir nur sehr leid tun, besonders wenn ihnen zum wiederholten Male buchstäblich das Wasser bis zum Hals steht.
Da freuen wir uns doch, Mechel, wie der Herbst sich ab und zu noch von seiner schöneren Seite zeigt. Heutzutage nennen wir das: „Goldener Oktober“. Früher hieß das: „Altweibersommer“. Ich muss aber doch nicht neuerdings: „Seniorinnen-Sommer“ dazu sagen“?
Weib“ war früher sogar ein Ehrentitel für eine Dame. Noch als Kind haben wir gebetet: „Du bist gebenedeit unter den Weibern.“ So steht es auch im alten Gebetbuch „Laudate“.
Vielleicht hat der Name aber damit zu tun, dass die im Morgentau silbrig-grau glitzernden Spinnfäden der Baldachin-Spinnen an die dünnen Haare alter Frauen erinnern. „Weben“ wurde einst „weiben“ genannt, was auch ein Hinweis auf den Altweibersommer sein könnte.
Baldachin-Spinnen sind übrigens ganz besondere Tiere: an ihren langen Spinnfäden können sie teilweise tausende Meter hoch und hunderte Kilometer weit durch die Luft schweben, von der warmen Luftströmung getragen.
Noch eins: Früher kannte man nur zwei Jahreszeiten, den Winter und den Sommer. Den Frühling nannte man daher „Junger Weibersommer“ und den Herbst „Alter Weibersommer“.
Nee, nee, das wusste ich auch nicht, das habe ich gegoogelt.
Also, Mechel, lass uns die letzten Sonnenstrahlen genießen. Das Laub hat sich schon so schön bunt gefärbt und die Blätter fallen sachte zu Boden. Was hältst du von einem Spaziergang über den Kreuzweg?
Mechel sagt: „Joa, äwwer dat Loof in den Hoff, dat dütt gej äges käre!“
Euer Hendrick